Der Betreiber dieser nichtkommerziellen Webseite ist der hoch-engagierte Martin Mitchell in Australien (ein ehemaliges “Heimkind” in kirchlichen Heimen im damaligen West-Deutschland)

Einleitung zum Buch GESTOHLENE KINDHEIT bei Alexander Markus Homes

Berlin : Ulstein, 1998 – ISBN 3-548-35766-0 – Durch psychische, physische und verbale Gewalt werden Kinder in Heimen ihrer Kindheit beraubt. Sie durchleiden Unglaubliches. Instititionelle Kindesmisshandlung und Institioneller Kindesmissbrauch

In diesem Buch wird das Leben von jungen Menschen in einem von Priestern und Nonnen geleiteten Heim geschildert. Aus der Innensicht dieses Heimes beschreibt der Autor die Gewalt, der Kinder tagtäglich ausgesetzt sind. »Gestohlene Kindheit« klärt über die Missstände in der Heimerziehung auf, die nur allzugern von den Verantwortlichen kaschiert werden.

Der Autor, Alexander Markus Homes, geboren 1959, ist in katholischen Heimen aufgewachsen. Er arbeitet als Jornalist für verschiedene Verlage und Zeitungsredaktionen.

ALEXANDER MARKUS HOMES
GESTOHLENE KINDHEIT


© Copyright by Alexander Markus Homes


Vorwort


"Wir konnten nicht begreifen, warum man uns gedemütigt, fallengelassen, bedroht, ausgelacht, wie Holz behandelt, mit uns wie mit Puppen gespielt oder uns blutig geschlagen hat oder abwechselnd beides. Mehr noch, wir durften nicht einmal merken, daß uns all dies geschieht, weil man uns alle Mißhandlungen als zu unserem Wohl notwendige Maßnahmen angepriesen hat."
Alice Miller,
Am Anfang war Erziehung

1 Gewalt gegen Kinder - ganz normal? 
Oder: Was totgeschwiegen wird

In diesem Buch wird das Leben von jungen Menschen in einem von einem Priester und Nonnen geleiteten katholischen Heim geschildert: Aus der Innenwelt dieses Heimes beschreibt der Autor die körperliche und seelische Gewalt, die Demütigung, Erniedrigung und Ablehnung, die Ängste, Schmerzen und Trauer, die Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit sowie den sexuellen Mißbrauch, denen Kinder im "Namen Gottes" durch Nonnen, den Priester und Erzieherinnen im Heim der traurigen Kinder hilflos ausgeliefert sind. Aber auch die unerfüllten Hoffnungen, Wünsche, Sehnsüchte nach Wärme, Geborgenheit und Zärtlichkeit der Opfer der "Schwarzen Pädagogik" werden geschildert. Das Erleben von Gewalt in ihren schlimmsten Formen, der die Kinder durch eine Nonne hilflos und wehrlos ausgesetzt sind, ist für diese jungen Menschen das Durchleben der Hölle auf Erden. Diese Nonne, Schwester Emanuela, wird im Verlauf der Handlung in sich steigender Form zum Synonym für brutalste Gewalt.

Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch der langsame, körperliche wie auch seelische Verfall der Kinder: Am Anfang ihrer "Heim-Karriere" waren diese Kinder oft noch Kinder, auch wenn sie zuvor im Elternhaus mißhandelt wurden. Doch im Verlauf ihres "Heim-Lebens" hat man sie durch die psychische, physische und verbale Gewalt ("Gott wird euch bestrafen; für euch ist nicht der Himmel, sondern die Hölle und das Fegefeuer bestimmt!"), aber auch durch medikamentöse Ruhigstellung, Stück für Stück ihrer Kindheit (und: Unschuld) beraubt! Diese "Kinder" haben die kindliche Spontanität verloren: Diese "Kinder" lachen nicht mehr, sie können nicht mehr glücklich sein und keine Gefühle zeigen.

Aus der Innenwelt der (sexuell) mißbrauchten Kinder heraus wird das hilflose Ausgeliefertsein, die tiefe gefühlsmäßige Abneigung durch die Erwachsenen, die großen Schmerzen und Ängste, die sich immer tiefer in die Kinderseelen hineinfressen, geschildert.

Die Leser erleben, wie das Jugendamt und die Polizei in einem "Kartell des Schweigens" durch ein Heimkind, das sich kurzfristig den "Mauern der Gewalt" durch Flucht entziehen konnte, über die alltägliche Gewalt im Heim der traurigen Kinder aufgeklärt werden.
Doch mehr als Betroffenheit zeigen die Verantwortlichen nicht; sie schweigen.

Die Leser erleben einen Richter, der durch ein Heimkind von der alltäglichen Gewalt im Heim erfährt, der aber schweigt. Und der sich somit in das "Kartell des Schweigens" einreiht. Der Richter, der für das Kind nur die Worte übrig hat: "Mein Junge, Gott möge dich beschützen!", spricht sich "Im Namen des Volkes" für die weitere Heimunterbringung dieses Heimkindes aus - und verkündet auf Antrag des Jugendamts, der Heimleitung und des Heimarztes, der diesen Jungen sexuell mißbraucht hat, stillschweigend einen entsprechenden Gerichtsbeschluß.

Die Leser erleben, wie sich eine einzige Nonne - allerdings vergeblich - für die Heimkinder einsetzt, die auch keine Konfrontation mit dem Heimleiter, der auch gleichzeitig Priester ist, scheut - und die sich das Leben nimmt.

Der Autor hat ganz bewußt die Romanform gewählt, um die dort beschriebenen Kinder zu schützen. Der Autor verbürgt sich dafür, daß diese Heime und Menschen existieren und daß diese die in diesem dokumentarischen und authentischen Roman beschriebene physische und psychische Gewalt, Demütigung, Erniedrigung, Herabwürdigung tatsächlich erlebt haben. Diese gefolterten und für ihr Leben geschädigten Opfer der "Schwarzen Pädagogik", der klerikalen (Heim-)Erziehung wollen mit Namen nicht genannt werden. Ihr alleiniges Ziel ist es, die für sie unerträgliche Erinnerung an dieses "Leben": diese "Kindheit", diese "Jugend" aus ihrem Gedächnis zu verdrängen und abzutöten. Doch nach Meinung des Autors verkennen sie die unumstößliche Tatsache, daß diese "Kindheit" und "Jugend" sich nicht verdrängen und abtöten läßt. Dennoch respektiert der Autor den Wunsch der Betroffenen auf Anonymität.

Die verbalen, seelischen und körperlichen Gewaltakte gegenüber Kindern, die in diesem Buch beschrieben werden, sind weder übertrieben noch veraltet. So fanden sie statt, und so finden sie auch heute noch statt. Natürlich nicht überall, in jedem Heim, aber oft genug. Eine Gestalt wie die der Schwester Emanuela wurde nicht erfunden, solche Personen gab und gibt es. Fromme Gelassenheit und Nächstenliebe konnte jäh umschlagen in heftigste Wut, die sich in verbalen, psychischen wie physischen Attacken Kindern gegenüber äußerte. Wieweit Gewalt ganz bewußt als "pädagogisches Mittel" eingesetzt wird, ist nicht statistisch erfaßt, aber die Fälle, die ans Licht der Öffentlichkeit kommen, beweisen, daß es keine seltenen Einzelfälle sind.

Ich bin 1961, nachdem meine Eltern mich vielfach schwer mißhandelt hatten, mit knapp zwei Jahren ins Heim gekommen. Mit sieben Jahren wurde mir von pädagogischen Experten Debilität (Med.: leichter Grad des Schwachsinns) unterstellt. Dies hatte für mich katastrophale Folgen: Ich kam am 13. April 1966 in das katholische Pflege- und Bildungsheim St. Vincenzstift in Rüdesheim-Aulhausen am Rhein. Eine Anstalt, in der - damals - etwa vierhundert Jungen und Mädchen, Frauen und Männer untergebracht waren. Ihnen wurde von "Experten" bescheinigt, geisteskrank oder (leicht) schwachsinnig bzw. geistig behindert zu sein.

Das Jugendamt Trier mußte für meine Unterbringung in das St. Vincenzstift nachträglich eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einholen. Der Grund: Das St. Vincenzstift galt - damals - als geschlossene Anstalt. Dem Antrag vom 18. April 1966 war ein ausgefüllter "Ärztlicher Fragebogen für idiotische oder epileptische Kinder" vom 19. August 1965 beigefügt. Das Jugendamt Trier deklarierte diesen bereits acht Monate alten "Ärztlichen Fragebogen", der durchaus im Dritten Reich den (NS-)Ärzten als Standard-Fragebogen gedient haben könnte, an das Gericht als "amtsärztlichen Untersuchungsbericht". Obwohl die Fragen bezüglich der "Idiotie und des Schwachsinns" in keiner Weise beantwortet, geschweige aus medizinischer und psychiatrischer Sicht fundiert bestätigt wurden, also eine entsprechende Indikation nicht bejaht worden ist, gab der Amtsgerichtsrat Dr. K. vom Amtsgericht Rüdesheim am Rhein dem Antrag statt.

Unter "II. Fragen über Idioten, Schwachsinnige" wurde bei Punkt 1. abgefragt: "Ist der Schwachsinn angeboren? Oder in welchem Alter zuerst beobachtet worden?". Die Medizinalrätin Dr. R. von der Gesundheitsbehörde der Stadt Trier beantwortete die Frage wie folgt: "Nach dem Bericht des Jugendamtes Trier wurde der Junge von klein auf vernachlässigt und mißhandelt." Unter Punkt 2. wurde abgefragt: "Was hält man für die Ursache des Schwachsinns: Erblichkeit, Krankheiten, Verletzungen, geistige Anstrengung, heftige Gemütsbewegungen wie Furcht, Schrecken?". Hier verwies die Medizinalrätin auf Ziffer I. Dort wurde unter den Punkten 11. und 12. abgefragt: "Sind oder waren die Eltern blutsverwandt? Sind oder waren die Eltern dem Trunke ergeben? oder syphilitisch infiziert vor der Geburt des Kindes? Sind bei des Kindes Großeltern, Großonkeln oder Großtanten, bei den Eltern, Onkeln, Tanten, bei Vettern oder Basen oder bei den Geschwistern des Kindes irgendwelche nervöse Erkrankungen, insbesondere Geistesstörung, Fallsucht, Hysterie, Migräne oder Selbstmord oder Verbrechen vorgekommen? Bei wem?" Beide Fragen wurden von ihr mit: "Nicht bekannt" beantwortet.

Im Rahmen einer richterlichen Anhörung vom 23. Mai 1966, wo es um die Frage meiner weiteren Unterbringung im St. Vincenzstift ging, scheint sich der - damals - für die Anstalt zuständige Obermedizinalrat Dr. E. mit dem "Ärztlichen Fragebogen", insbesondere mit der dort aufgeführten Terminologie inhaltlich identifiziert zu haben. Obwohl ich mich erst sechs Wochen im St. Vincenzstift befand, kam dieser Obermediziner zu einem für mich verheerenden Schluß:
"Das Kind befindet sich seit dem 13. April 1966 im Bildungs- und Pflegeheim St. Vincenzstift. Es leidet an einer Geistesschwäche im Sinne eines Schwachsinns leichten Grades."
Noch in zahlreichen Stellungnahmen an das Gericht bestätigte der Obermedizinalrat:
"Mit einer Heilung der wahrscheinlich endogen bedingten Geistesschwäche ist nicht zu rechnen." - "Bei A.H. handelt es sich nicht um eine Geisteskrankheit, sondern um eine Geistesschwäche im Sinne einer Debilität, die ihn ein Leben lang begleiten wird."
Diese Urteile führten dazu, daß ich fast zehn Jahre meines Lebens im St. Vincenzstift habe leben müssen.

Das St. Vincenzstift war für mich damals die "Hölle auf Erden": Im "Namen Gottes", im "Namen Jesu Christi", im Namen der "Schwarzen Pädagogik" wurden Kinder und Jugendliche (sicherlich nicht alle!) zum Teil schlimmsten körperlichen und seelischen Mißhandlungen wehr- und hilflos ausgesetzt bzw. unterworfen. Wenn ich die Formulierung: im "Namen Gottes" bzw. im "Namen Jesu Christi" hier verwende, so hat das seine Berechtigung: Uns wurde immer wieder zu verstehen gegeben, daß wir von den Stellvertretern Gottes und Jesu Christi - konkret: im Namen und Auftrag von Gott und seinem Sohn Jesus Christus - erzogen wurden. Der liebe Gott sei allgegenwärtig, er würde uns auf Schritt und Tritt verfolgen, beobachten, kontrollieren. Jede körperliche Bewegung, jeder Atemzug, jeder Gedanke und jede Gefühlsregung würde Gott seinen Stellvertretern mitteilen. Kurzum: Gott habe die göttliche überirdische Fähigkeit, uns mit seinen Augen und Ohren zu kontrollieren: jede Sekunde, Minute, Stunde, Tag, Monat und Jahr.

Wenn wir bedroht, bestraft, geschlagen, mißhandelt wurden, so haben die Nonnen - stellvertretend - im Auftrag Gottes gehandelt: Es waren Gottes Worte, Gottes mahnende und aggressive Blicke, Gottes Hände, Gottes Füße, die uns beschimpften, demütigten, bestraften, prügelten. Es war Gottes Wille: Die uns auffressenden Ängste, Schmerzen, Trauer, Vereinsamung, die sich immer tiefer in unsere Seelen hineinbohrte und hineinfraß. Wir hatten unsere Kindheit Gott und seinem Sohn Jesus Christus zu verdanken.

Nach der Heimentlassung war ich voller Wut und voller Haß. Ich habe es dennoch geschafft, mich von dieser "Kindheit", die keine Kindheit war, zu befreien. Mir ist es gelungen, die Wut und den Haß zu besiegen.

In einer 1981 als Buch erschienenen Heimbiografie mit dem Titel "Prügel vom lieben Gott", das in den Medien bundesweit große Beachtung fand, habe ich diese Zeit des Grauens literarisch verarbeitet und verfremdet.

Völlig losgelöst von "Prügel vom lieben Gott" sind die Erfahrungen und Erlebnisse zu sehen, die viele ehemalige HeimbewohnerInnen des St. Vincenzstiftes gemacht haben:

Die traumatischen Erlebnisse, die körperliche und seelische Gewalt, die Ängste, die Demütigungen, die seelischen Wunden, die Alpträume, die Lieblosigkeit, die Schmerzen, die Schmerzensschreie, die Aggressivität, den Haß, den Groll, die Bitterkeit. Die Einsamkeit, die Vereinsamung, die Isolierung, die Enttäuschung, die Traurigkeit, die Hoffnungslosigkeit. Den Schrei und die große Sehnsucht nach Liebe, Wärme, Geborgenheit, Anerkennung, Selbstachtung.

Das Buch "Prügel vom lieben Gott" und unzählige Gespräche mit Menschen haben mich von dieser "Kindheit" befreit wie zahlreiche gerichtliche Auseinandersetzungen mit dem St. Vincenzstift. Das St. Vincenzstift verfolgte meiner Auffassung nach das Ziel, die Justiz zu mißbrauchen und mit ihrer Hilfe eine "Mauer des Schweigens" über die damalige Zeit des Grauens auszubreiten.
Ich wurde damals wegen Verleumdung und übler Nachrede angezeigt und angeklagt. In dem Strafprozeß haben zahlreiche frühere Leidensgenossen, aber auch ehemalige Erzieher meine Vorwürfe hinsichtlich zum Teil schwerer Mißhandlungen bestätigt. Ein Sozialarbeiter bestätigte zum Beispiel dem Richter, daß "körperliche Züchtigungen und Essensentzug zum pädagogischen Konzept, ja gewissermaßen zum Alltag" des Heimes gehörten. Das Strafverfahren gegen mich wurde auf Antrag der Anklagebehörde eingestellt und ein Ermittlungsverfahren gegen Nonnen und Erzieher des St. Vincenzstiftes wegen Körperverletzung und Mißhandlung Schutzbefohlener eingeleitet.

"Für eine Verurteilung der beschuldigten Pädagogen und Nonnen war es allerdings zu spät", schrieb damals der SPIEGEL: "Auch das neue Verfahren wurde eingestellt, die Vergehen waren verjährt. Und nachdem diese Gefahr vorüber war, drehten die Aulhausener Heimerzieher den Spieß um."

Nachdem die Mißhandlungen - durch die eingetretene Verjährung - nachträglich "sanktioniert" wurden, wurde nach Erscheinen meines Buches "Prügel vom lieben Gott" mein Verleger und ich mit einer einstweiligen Verfügung konfrontiert. Das St. Vincenzstift erreichte "mit dem ganzen Gewicht der katholischen Kirche" (Frankfurter Rundschau , 22. Februar 1982), daß die Verbreitung meines Buches vom Landgericht Wiesbaden gerichtlich untersagt - soll heißen: verboten - wurde. In einem Brief an das Wiesbadener Gericht prangerte der Verband Deutscher Schriftsteller dieses Vorgehen an als "Zensur eines kritischen Buches".

Auch im Rahmen dieses Zivilprozesses bestätigten ehemalige Leidensgenossen die zum Teil schweren psychischen und physischen Mißhandlungen.
Die Frankfurter Rundschau schrieb am 22. Februar 1982:
"Das Sonderpädagogische Zentrum St. Vincenzstift zu Rüdesheim nahm für sich das Recht in Anspruch, mit jener vom Autor fiktiv "Heim zum lieben Gott" genannten Anstalt identisch zu sein, unter deren Dach die gesammelten Erfahrungen mit literarischen Mitteln gebracht worden waren."
Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs wurde nur ein einziger Zusatz in das Buch aufgenommen, der dort bereits in anderen Worten enthalten war, und das Buch konnte wieder unverändert verbreitet werden:

"Die in diesem Buch geschilderten konkreten Ereignisse, Personen und Zustände sind nicht Dokumentation, sondern literarisch verarbeitet und verfremdet."

Die Frankfurter Rundschau führte hierzu zutreffend aus: Die einstweilige Verfügung wurde erlassen, obwohl der "Autor die Handlung verfremdet hat" und im "Vorspruch alle Personen, Orte und Institutionen für »unbenannt« erklärte".
Zahlreiche Medien solidarisierten sich damals mit mir - hier einige Beispiele:
SPIEGEL: "Ein deprimierendes Beispiel für die Situation von Heimkindern..." - Frankfurter Rundschau: "... Impulse für eine Diskussion über Zustände in Kinder- und Jugendheime..." - Sozialmagazin: "Alexander Homes Buch ist bedeutungsvoll, auch als Literatur." - Podium: "... hatte ich ... niemals den Eindruck, daß sich der Verfasser in seine Erinnerung verrannte. Vielmehr ließ er eine Wut aufkommen über das, was im Heim Alltag ist."
Und der Schriftsteller Martin Walser erklärte:
"Homes hat mich gepackt, er gehört zweifellos zu den auswählbaren Naturschreibern."

Die Intervention der katholischen Amtskirche

Am 21. Januar 1997 erhielte ich völlig unerwartet eine Kopie der Seiten 10 bis 12 meines im Oktober 1996 erschienenen Buches Gestohlene Kindheit.. Mein damaliger Verleger, der katholische Patmos Verlag in Düsseldorf, verlangte plötzlich für die Vorbereitungen zum geplanten Nachdruck von Gestohlene Kindheit, daß diese Seiten, in denen ich mich kurz mit meiner eigenen Kindheit im St. Vincenzstift in Rüdesheim-Aulhausen beschäftigt habe, auf etwa eine Buchseite zusammengestrichen wird. 
Ich wurde darüber aufgeklärt, daß kurz nach Erscheinen des Buches ein Anwalt höchstpersönlich in Düsseldorf im Namen und Auftrag des St. Vincenzstifts vorstellig geworden sei. Dieser Anwalt, der bereits 1981 für das St. Vincenzstift eine einstweilige Verfügung gegen mein Buch "Prügel vom lieben Gott" erwirkte, soll auf Änderungen bestanden haben. 
Der Verlag bestand mir gegenüber darauf, daß der 3 Absatz der Seite 10, die gesamte Seite 11 (von zwei Sätzen abgesehen) und die Seite 12 der "Zensur" anheimfallen.
Das Ziel der anwaltlichen Intervention dürfte gewesen sein zu erreichen, daß bei einem Nachdruck der "Fall St. Vincenzstift" nur noch in völlig abgeschwächter Form, und nur am Rande, Erwähnung findet. Der Grund: Mit der "Schwärzung" sollte möglicherweise eine erneute öffentliche Diskussion über den Anfang der achtziger Jahre bundesweit diskutierten "Fall St. Vincenzstift" verhindert werden. 
Möglicherweise spekulierte man darauf, daß ich eine Zensur an meinem Buch nicht hinnehmen würde - und der Patmos Verlag dann eine zweite Auflage nicht druckt.
In Schreiben und Telefonaten machte ich dem Patmos Verlag zunächst deutlich, daß, abgesehen von einer modifizierten Darstellung des Vergleichs bezüglich des Prozesses um mein Buch "Prügel vom lieben Gott", niemand von mir eine derartige Zensur an meinem Werk verlangen kann. Um den Nachdruck nicht zu gefährden, gab ich dennoch in einigen Punkten nach. Und trotzdem erreichten mich insgesamt fünf verschiedene Kopien mit Änderungswünschen. 
Im Februar 1997 hatten wir uns in Düsseldorf schlußendlich auf ein paar Änderungen verständigt und festgelegt. Der Patmos Verlag lehnte jedoch den Abdruck einer von mir überarbeiteten, aktualisierten Fassung des "Falles St. Josephshaus" in Klein-Zimmern (Heimträger: Bistum Mainz) generell ab (siehe Seite X). 
Zwei Tage nach dem Gespräch in Düsseldorf erreichte mich erneut eine Fassung der Seiten mit Änderungswünschen, die sich kaum von den vorherigen unterschied: Der Verleger wollte von der Vereinbarung in Düsseldorf plötzlich nichts mehr wissen. Nachdem ich in wesentlichen Punkten meine Zustimmung verweigerte, lehnte dieser, als habe er auf diesen Moment gewartet, einen Nachdruck ab mit dem Hinweis, eine Vereinbarung für den Nachdruck habe es nicht gegeben.

Da große Teile der katholischen Amtskirche ein Interesse daran hatten, daß das Buch "Gestohlene Kindheit" für immer vom Markt verschwindet, war man daran interessiert, alles zu unternehmen, um dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen: Der gleiche Anwalt vertrat die Interessen des Kardinalsernennung Bischof LehmannMainzer Bischofs Karl Lehmann gegen Hans Meiser, der sich im Dezember 1996 auf der Grundlage meines Buches Gestohlene Kindheit  in seiner (RTL-)Fernsehsendung mit dem Thema: Gewalt in Heimen beschäftigte - und er war auch zumindest in rechtsberatender Form für die von mir in diesem Buch beschriebene St. Josef-Stiftung Eisingen tätig (siehe Seite #). Auch die St. Josef-Stiftung ließ damals prüfen, ob es eine juristische Handhabung gibt, gegen mein Buch Gestohlene Kindheit vorzugehen. Die Juristen haben jedoch keine greifbare Chance gesehen, einen Prozeß zu gewinnen. 

Mir war es gelungen, den Ullstein Buchverlag für eine Taschenbuchausgabe von "Gestohlene Kindheit" zu gewinnen. Nachdem die Ullstein-Taschenbuchausgabe im Juli 1998 erschienen war, wurde der Wiesbadener Anwalt wieder erneut aktiv. Im März 1999 gelang es ihm, den Ullstein Buchverlag davon zu überzeugen, "Gestohlene Kindheit" vom Markt zu nehmen. Die nachfolgend  abgedruckte Presseerklärung des Autors schildert die Einzelheiten: 
 


P r e s s e e r k l ä r u n g
 

Am 23. April 2000 feierte die Welt den Welttag des Buches
 

Ein Buchautor wehrt sich gegen den kirchlichen Versuch, ihn als Heimkritiker mundtot zu machen. Oder: Ein kritisches Buch über (klerikale) Heimerziehung darf nicht mehr erscheinen
 

Auch heute noch werden kritisch schreibende AutorInnen bekämpft, diffamiert, verfolgt, angeklagt, oft auch weggesperrt, ermordet. Und ihre Werke zensiert oder vernichtet.

In der Bundesrepublik Deutschland werden AutorInnen zwar nicht weggesperrt und/oder ermordet, doch auch hier sind sie manchmal nicht sicher vor Verfolgung! Auch hier findet Zensur und eine Art inquisitorische „Bücherverbrennung“ in moderner Form statt.

Einer derartigen Verfolgung und „Bücherverbrennung“ ist der Autor Homes durch die klerikale Amtskirche ausgesetzt. Das Buch des Autors "Gestohlene Kindheit", das 1996 im katholischen Patmos Verlag erschien und 1998 als Taschenbuch im Ullstein Buchverlag, wird seit März 1999 vom Ullstein Buchverlag nicht mehr ausgeliefert.
"Gestohlene Kindheit" beschäftigt sich mit zum Teil schwersten Misshandlungen in bundesdeutschen Heimeinrichtungen - und mit der verantwortlichen Rolle der jeweils betroffenen Heimleitung und Heimträger, die teilweise von schweren Menschenrechtsverletzungen Kenntnis hatten und zunächst schwiegen und zu spät reagierten. Auf den wenigen Seiten, die sich mit dem St. Vincenzstift beschäftigen, geht der Autor auch kurz auf seine eigene Kindheit ein. Eine „Kindheit“, die streckenweise von Angst und Gewalt geprägt war. Im St. Vincenzstift in Rüdesheim-Aulhausen musste der Autor zwischen 1966 und 1975 ein Teil seiner Kindheit und Jugendzeit verbringen. Diese Zeit im St. Vincenzstift hat nach Überzeugung des Autors viele der dort damals untergebrachten Menschen zu Opfern einer menschenverachtenden klerikalen Heimerziehung gemacht.
Es wird Zeit, dass sich die Heimträger in der Bundesrepublik Deutschland, egal ob sie konfessionell gebunden sind oder auch nicht, mit ihrer Vergangenheit beschäftigen und anerkennen, dass sie für das große Leiden unzähliger Menschen verantwortlich sind. Dies betrifft insbesondere Menschen, bei denen sich nach ihrer Heimkarriere eine Knast- oder Psychiatrie-Karriere anschloss und auch heute noch oft anschließt.

Das St. Vincenzstift, das bereits 1981 gegen das erste Buch des Autors mit dem Titel "Prügel vom lieben Gott" vorging, schaltete wie auch 1981 den Wiesbadener Anwalt Dieter Wallenfels, der einen behinderten Sohn hat, der in der Einrichtung lebt, ein. Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden ermittelte damals gegen MitarbeiterInnen der Einrichtung wegen Verdacht der Misshandlung Schutzbefohlener. Das Nachrichtenmagazin der SPIEGEL schrieb damals: "Für eine Verurteilung der beschuldigten Pädagogen und Nonnen war es allerdings zu spät. Auch das neue Verfahren wurde eingestellt, die Vergehen waren verjährt..."

Der Anwalt, der auch für andere in "Gestohlene Kindheit" aufgeführten Einrichtungen rechtsberatend tätig war, aber offenbar keine Möglichkeit sah, für diese gegen den Autor und seinem Buch vorzugehen, protestierte 1996 höchstpersönlich beim Patmos Verlag und 1998 beim Ullstein Buchverlag. Er schaltete, nachdem weder der Patmos Verlag noch der Ullstein Buchverlag das Buch vom Markt nahm, kein Gericht ein, um ein Auslieferungsstopp zu erreichen. Im März 1999 nahm er beim Ullstein Buchverlag einen neuen, nunmehr erfolgreichen Versuch: Der Verlag lehnt seitdem die weitere Auslieferung von "Gestohlene Kindheit" ab. Der Verlag unterrichtete den Autor nicht. Dieser erfuhr hiervon erst durch Zufall im Spätsommer 1999. Bis heute hat weder der Anwalt noch der Ullstein Buchverlag dem Autor über die angeblichen inkriminierenden Stellen im Buch Auskunft gegeben. Der Ullstein Buchverlag verweist auf den Anwalt, der dem Autor nur lapidar mitteilte, in dem Buch seien Unwahrheiten enthalten. Was für angebliche Unwahrheiten, teilte er dem Autor nicht mit. 
Der Autor sieht in dem Vorgehen des Anwaltes nicht nur die Interessen des St. Vincenzstiftes vertreten, sondern auch die Interessen der klerikalen Heimträger in der Bundesrepublik Deutschland schlechthin. So vertrat der Anwalt 1997 auch die Interessen des Mainzer Bischofs Karl Lehmann gegen das Focus Magazin, den Privatfernsehsender RLT und den Talkmaster Hans Meiser, die sich mit Lehmann und das unter der Trägerschaft des Bistums Mainz stehende Kinderheim St. Josephshaus in Klein-Zimmern bei Darmstadt kritisch beschäftigten.

Der Ullstein Buchverlag lehnte es ab, der Bitte des Autors nachzukommen, ihm die Restauflage zu verkaufen.

      Wiesbaden, 26.04.2000


Die im St. Vincenzstift erlittene Gewalt hat bei vielen ehemaligen Heiminsassen - konkret: Opfern - zu Traumen geführt. Diese traumatischen Erlebnisse werden sie niemals vergessen können. Noch schlimmer: Diese "Kindheit" führte viele von ihnen automatisch in eine psychotische oder neurotische Entwicklung. Ihrer Kindheit und Jugend beraubt, sind sie am Leben gescheitert.
Mit zwei Zitaten aus Briefen ehemaliger Heiminsassen will ich verdeutlichen, was (konfessionelle) Erziehung in einem (konfessionellen) Heim für Dauerschäden bei betroffenen Menschen anrichten kann:

  • "Im Heim kamen wir nie mit Mädchen zusammen. Ich hatte oft von einem Mädchen geträumt, nachts, wenn ich mich selbst befriedigte. Heute bin ich auf der Suche nach Frauen, die Ähnlichkeit haben mit einer der Nonnen oder Erzieherinnen, die mich früher als kleines Kind schon prügelten, wenn ich mich an sie anschmiegen wollte. Wenn ich also eine entsprechende Frau kennenlerne, will ich immer, daß sie mich gewaltsam nackt auszieht und mich dann ganz brutal schlägt. - Nur so komme ich heute zu einem Orgasmus."

  • "Ich komme heute nur zu einem Orgasmus, wenn mich ein anderer Mann mit einer Peitsche schlägt, dann ist das schön für mich. Er muß fest auf mich einschlagen, und dann sehe ich meine Erzieher, die auf mich einschlagen. Ich nehme den Schlagenden nicht wahr, sondern den Erzieher. Früher wurde ich als Kind schon geschlagen, immer und in jeder Situation. Wenn also ein Mann auf mich einschlägt, bin ich der kleine Junge, der nach Zärtlichkeit schreit und dafür Schläge bekommt - wie früher!"


Kinder waren schon immer der Gewalt von Erwachsenen - hilflos und wehrlos - ausgesetzt: Gewalt gegen Kinder ist nicht nur mit körperlicher Gewalt gleichzusetzen: Auch psychischer Gewalt, die oft schlimmer wirkt, sind Kinder - hilflos und wehrlos - ausgesetzt: (Wut-)Ausbrüche, Beschimpfen, Schreien und Brüllen, Wut und Haß, hektische Gesten, Laustärke der Sprache überfluten, bedrohen, vergewaltigen Gefühle und Seele eines Kindes durch Ablehnung und Verachtung, Demütigung und Herabsetzung. Oft ist die brutale Gewalt an Kindern, der Mißbrauch, die Manipulation, die Beschränkung der Freiheit, die Demütigung gepaart mit einer Haß-Liebe.
Was im Rahmen der Heim-Erziehung - unabhängig davon, ob es sich um konfessionelle, private oder staatliche Heime handelt - Kindern angetan wurde - und zum Teil heute noch angetan wird -, ist eine Geschichte der Rechtlosigkeit von Kindern, ist eine Geschichte von Erniedrigung, Kränkungen und schwersten körperlichen und seelischen Mißhandlungen.
Erwachsene, konkret: Nonnen, Patres, Erzieher, Erzieherinnen und Eltern sind schnell dabei, ihre Aggressionen und Haßgefühle, die mit ihrer eigenen, oft mit großer Gewalt verbundenen und erlebten Kindheit zusammenhängen, an den ihnen anvertrauten Kindern abzureagieren. Viele, sicherlich nicht alle, befriedigen überdies ihr Bedürfnis nach Macht.
In einem Gespräch mit mir, das ich in dem von mir herausgegebenen Buch: Heimerziehung - Lebenshilfe oder Beugehaft? (Frankfurt/M. 1984) abgedruckt habe, berichtet eine Nonne, die in katholischen Heimen arbeitete, ganz offen und ehrlich, wie »im Namen Jesu Christi« Kinder körperlich und seelisch gequält, gedemütigt, bestraft wurden:

  • "Auch ich fing an, Kinder zu schlagen, zu bestrafen, sie mit Sanktionen zu belegen. Und ich wußte - wie alle Nonnen und Erzieher auch -, daß die Kinder sich nicht wehren konnten. Sie waren uns, unseren Launen, unserer Macht hilflos ausgeliefert! Wir haben alle bei den Kindern eine große Angst verbreitet. Die Angst beherrschte ihre Seele und ihren kleinen Körper und ihr junges Leben... Wir haben den Kindern immer wieder gesagt, daß wir sie im Namen von Jesus Christus erziehen und ihnen helfen wollen. Doch in Wirklichkeit haben wir - auch wenn diese Erkenntnis schmerzlich ist! - gegen diese christlichen Grundsätze verstoßen!"


Mit dem Straf- und Unterdrückungsinstrument: "Gott" wurde den Kindern Gehorsam, Willigkeit, Anpassung und Unterwerfung abverlangt:

"Durch die Drohung mit Gott ", gesteht diese Nonne,"hatten wir die Kinder unter Kontrolle, auch ihre Gedanken und Gefühle. Ist das nicht das Ziel jeder konfessionellen Erziehung, jedes konfessionellen Heims?"

Sie selbst bekennt sich dazu, Kinder auf das schwerste mißhandelt zu haben:

  • "Ich träume heute noch von diesen Heimkindern. Aber es sind keine schönen Träume, keine schönen Erlebnisse, die da wach werden. Erst vor kurzem hatte ich wieder einen dieser Träume: Ich sah wieder, wie ich einen etwa sieben Jahre alten Jungen bei der Selbstbefriedigung erwischte. Ich war außer mir und stellte ihn zur Rede. Doch das Kind begriff nichts. Meine Wut wurde immer größer, und ich zog ihn an den Haaren in den Duschraum. Dort habe ich kaltes Wasser in eine Wanne einlaufen lassen und den Jungen mit Gewalt dort hineingezerrt und ihn viele Male untergetaucht. Ich sah - wie damals in der Wirklichkeit -, wie er sich zu wehren versuchte; ich hörte ihn wieder schreien. Es kostete eine ganze Menge Kraft, diesen kleinen, zierlichen Körper wieder und wieder unterzutauchen. Ich merkte, wie die Kraft des Jungen nachließ. Sein Gesicht lief blau an, und dennoch machte ich weiter. Der Junge bekam kaum noch Luft, als ich endlich von ihm abließ."


Körperliche und seelische Mißhandlungen, denen Kinder durch Erwachsene - hilflos und wehrlos - ausgesetzt sind, hinterlassen ein Leben lang Spuren. Diese Kinder sind gekennzeichnet: Geschlagene Kinder schlagen weiter, bedrohte Kinder bedrohen weiter, gedemütigte Kinder demütigen weiter ... Kurzum: Junge Gewaltopfer werden selbst zu Angreifern und Gewalttätern.

Cathy Spatz Widom, Psychologin der Staatlichen Universität von New York in Albany, hat 20 Jahre lang 908 mißhandelte Kinder beobachtet. Die am häufigsten verprügelten und vernachlässigten Kinder wurden, so Widom, die gewalttätigsten Jugendlichen. Die Kinder, denen man Fürsorge, Zuneigung und Liebe vorenthalten hatte, verübten 50 Prozent mehr Gewaltverbrechen als andere Gleichaltrige (Frankfurter Rundschau , 14. 10. 1995).
Adrian Raine von der Universität Südkalifornien untersuchte 4269 Jungen, denen in früher Kindheit körperliche und seelische Gewalt angetan wurde und die mißbraucht worden sind. Raine fand heraus, daß sie alle bis zum 18. Lebensjahr dreimal soviele Gewaltvergehen begangen hatten wie andere Jugendliche (Frankfurter Rundschau , 14.10.1995).

"Der junge Mensch ist ein aufständischer, und solange es Menschen auf dieser ihrem Ende zueilenden Welt gibt, wird es Strafe geben müssen, auch in einem christlichen Erziehungsheim (...). Die erbarmende Liebe schafft die Strafe nicht ab, sondern weiß, daß sie dem vom Chaos bedrohten natürlichen Menschen durch Zucht und Strafe einen unentbehrlichen Dienst tut."

Kurt Frör
Grundfragen der evangelischen Heimerziehung, in: Handbuch der Heimerziehung, S. 577-596, hier: S. 591, hersg. von Friedrich Trost, Frankfurt/Berlin/Bonn, 1952 ff.

2 Gewalt auch heute noch in der Heimerziehung?
Oder: Aktuelle Fälle

Auch heute noch werden in - wenn natürlich auch nicht in allen - Heimen junge Menschen geprügelt, seelisch gequält, gedemütigt, verbal niedergemacht, ja hin und wieder sogar sexuell mißbraucht. Doch nur wenige Skandale dringen an die Öffentlichkeit. Die "Mauer des Schweigens" scheint immer noch eine sehr große, fast unüberwindbare Tradition innerhalb der Heimerziehung darzustellen.

Die folgenden Beispiele mögen dies verdeutlichen.

Im Don Bosco-Internat Kemperhof der Salesianer in Bendorf-Sayn bei Neuwied (zugegebenermaßen kein Heim im eigentlichen Sinne, aber einem solchen durchaus vergleichbar) in dem 87 Jungen zwischen elf und achtzehn Jahren untergebracht sind, wurden von Brüdern dieses Ordens Internatskinder sexuell mißbraucht.
1994 wurde der Erzieher und Ordensbruder R. B., der gestand, Jungen fortgesetzt sexuell mißbraucht zu haben, zu sieben Jahre Haft verurteilt.

Im Dezember 1995 wurde ein weiterer Ordensbruder, der Erzieher und Gruppenleiter, A. R., dem die Staatsanwaltschaft Koblenz vorwarf, jahrelang nachts in die Schlafräume der Jungen geschlichen zu sein und mindestens einen Jungen unter vierzehn Jahren dadurch sexuell mißbraucht zu haben, daß er ihn unter der Bettdecke hindurch am Geschlechtsteil berührte, zu drei Jahren Haft verurteilt. Zuvor hatte der Mann versucht, sich der Strafe durch Flucht zu entziehen; er wurde jedoch noch rechtzeitig aufgegriffen und verhaftet.

Ein Junge berichtete im Mai 1995 der Mittelrheinischen Morgenpost, daß ein Lehrer die Angewohnheit habe, hin und wieder "mit einem Tritt in den Hintern nachzuhelfen, wenn sich der Klassenraum nicht schnell genug leeren würde" (Mittelrheinische Morgenpost , 28. Mai 1995).
Die Mittelrheinische Morgenpost berichtet auch von einem Nasenbeinbruch, den sich ein Schüler zugezogen habe, als er mal die "Lehr-Kraft" zu spüren bekam. Der Lehrer H. bestritt diese Darstellung.

Ein fünfzehnjähriger Junge berichtete der Zeitung, er habe von dem Pater W. eine gewaltige Ohrfeige bekommen, weil dieser ihn beim Rauchen einer Zigarette erwischt habe.
Obwohl der Junge der Klassenlehrerin habe ausrichten lassen, daß er durch diese Ohrfeige Ohrenschmerzen habe und den Arzt aufsuche, habe sie einen Eintrag ins Klassenbuch wegen unerlaubten Entfernens vom Schulhof vorgenommen. Der Junge berichtete den Vorfall seiner Mutter, die Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattete.
Der Direktor des Kemperhofs, Pater K.-H. B., scheint an der Aufklärung dieser Vorfälle nicht sonderlich interessiert gewesen zu sein. Fragenden Reportern knallte er mit den Worten: "Keine Fragen mehr!" die Tür vor der Nase zu. Er zeigte sich überrascht, daß der Fall an die Öffentlichkeit gelangt sei. Die Super Sonntag, eine in Koblenz erscheinende Sonntagszeitung, schrieb: "Offenbar gilt hinter den dicken Mauern des historischen Gebäudes der Grundsatz: „Schweigen ist besser als Reden.“

Unter dem Titel: "Geschlagen, gedemütigt" berichtete die Fachzeitschrift Sozialmagazin im April 1977 über das unter der Trägerschaft des Bistums Mainz stehende St. Josephshaus in Klein-Zimmern bei Darmstadt: "Im St. Josephs-Haus ... herrschen mittelalterliche Zustände."
Der damalige Heimleiter H. P., ein katholischer Priester, habe Kinder und Jugendliche schwersten, brutalen Mißhandlungen unterworfen:

  • "Ein Bube wurde über eine Wiese geprügelt und getreten, weil er sich geweigert hatte, ein Stück Papier aufzuheben. Jungen, die über den Rasen liefen, wurden mit »Pottsau« angebrüllt, mußten auf Händen und Füßen weiterlaufen und bellen oder an der Mauer ein Bein heben, da ja nur  »Hunde« über den Rasen liefen. Andere mußten bis zur Erschöpfung Kniebeugen machen. Wer nicht mehr konnte, wurde wieder hochgerissen. Jugendliche, die vom Ausgang verspätet heimkehrten, mußten zur sogenannten »Watschenparade« antreten. Sie hatten sich nach Mitternacht auf dem Speicher aufzustellen und vom Heimleiter Ohrfeigen abzuholen. Unter anderem drückte Heimleiter P. seine Zigaretten in den Kaffeetassen der Jungen aus. Ein kleiner Junge wurde von ihm derart geschlagen, daß sich dieser unter einen Heizkörper flüchtete. Zur Strafe wurde schon einigen Jungen der Kopf kahlgeschoren."


Der fromme Kirchenmann habe, berichtete das Sozialmagazin weiter, "Jungen wegen versuchter Aneignung von Äpfeln aus dem Heimgarten so brutal geschlagen, daß einem das Blut aus der Nase floß und die Schlagspuren bzw. Schwellungen noch tags darauf zu sehen waren".
Das Darmstädter Echo berichtete am 2. Februar 1977 unter dem Titel: "Gehört Prügeln zum Erziehungsprogramm?":

  • "Heimleiter P. hält einen Jugendlichen mit einer Hand an den Haaren fest und schlägt ihm mit der anderen mehrfach ins Gesicht. Später nötigt er den Mißhandelten unter Drohungen zu dem Versprechen, ihn nicht wegen Körperverletzung anzuzeigen."


Dem Zeitungsbericht ist weiter zu entnehmen, daß auf eine von einer Initiative Heimerziehung einberufenen Pressekonferenz ein betroffener Junge berichtete: "Heimleiter P. sei in den Waschraum des Ferienheims gekommen und habe die Gruppe von 13 bis 17 Jahren alten Jungen aufgefordert, sich nackt auszuziehen. Danach habe er die Jungen am ganzen Körper gewaschen."
Der Priester, der den Kindern und Jugendlichen auch die Beichte abnahm, habe versucht, "unbequemen Jungen in einer psychiatrischen Klinik einweisen zu lassen. Andere Kinder seien mit Drohungen dazu gebracht worden, Aussagen über körperliche Züchtigungen zu unterlassen". Der fromme Mann sei nicht einmal davor zurückgeschreckt, so das Darmstädter Echo, "Zöglinge als Verbrecher abzustempeln".

Zahlreiche schriftliche Eingaben und schriftliche Aussagen von Erziehern an das Bistum Mainz, in denen umfangreich über schwere Mißhandlungen berichtet wurden, blieben unbeantwortet. Das Bistum reagierte erst aufgrund weiterer Eingaben mit dem Hinweis, der Priester und Heimleiter P. würde die Vorwürfe bestreiten. Erst nachdem die Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen den Priester wegen schwerer Körperverletzung Ermittlungen aufnahm und die Presse über den Fall berichtete, ging das Bistum in die Offensive.

In einer Stellungnahme wird darauf verwiesen, so das Sozialmagazin, "daß die Klärung der Vorwürfe schwierig sei. Dabei gab das Bischöfliche Ordinariat zu, schon seit 1975 über Vorwürfe gegen den Heimleiter unterrichtet gewesen zu sein".

Gegenüber dem Darmstädter Echo erklärte die bischöfliche Pressestelle, die Aussagen seien so "widersprüchlich gewesen, daß eine Klärung der Tatbestände, aber auch eine gütliche Bereinigung nicht möglich gewesen sei". Gleichzeitig wurde der "Initiative Heimerziehung", die den ganzen Skandal öffentlich machte, vorgeworfen, aus nicht ersichtlichen Gründen die Vorwürfe in der Öffentlichkeit hochgespielt zu haben.

"Aber nicht nur die Kirche reagierte gleichgültig", ist dem Artikel des Darmstädter Echos zu entnehmen. "Auch die Jugendämter in Trier, Cochem, Bad Homburg, Offenbach, Mosbach und Groß-Rosseln - über die Mißhandlungen der von ihnen ins St. Josef-Haus geschickten Kinder informiert - zeigten keine Reaktion".

Nachdem die Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen den Priester Ermittlungen aufnahm und die Presse über den Fall berichtete, erhängte sich dieser 1977.

Im Frühjahr 1994 geriet das St. Josephshaus, in dem rund hundert sogenannte "schwer erziehbare" Jungen und Mädchen von etwa 130 Mitarbeitern betreut werden, wieder in die Schlagzeilen. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erhoben schwere Anschuldigungen gegen einen Kollegen und einer Kollegin. Der Vorwurf: In den Jahren 1991 bis 1993 sollen sie Kinder im Alter von sieben bis fünfzehn Jahren körperlich mißhandelt und einige sogar sexuell mißbraucht haben.

Vier Mitarbeiterinnen der Einrichtung, die zum Teil selbst Kinder haben, konnten und wollten nicht akzeptieren, daß die ihnen anvertrauten Kinder "durch überzogene diziplinarische Maßnahmen, die sich u.a. in körperlicher Mißhandlung äußert, sowie durch seelische Grausamkeiten gefügig" gemacht werden.

Sie sprachen am 24. Januar 1992 beim katholischen Heim-Träger vor. Im Bischöflichen Ordinariat Mainz haben sie, hielten die Mitarbeiterinnen schriftlich fest, "mit einem Herrn M. und einer Frau G. gesprochen. Aufgrund der Schwere des Vorgebrachten habe man sofort auf Herrn Domkapitular G. E. verwiesen." Doch ein Gespräch mit Domkapitular G. E. sei nicht zustandegekommen. Mit dem freundlichen Hinweis, die Mitarbeiterinnen sollten sich an die Mitarbeitervertretung der Heimeinrichtung wenden, wurden sie verabschiedet.

Am 29. Januar 1992 nahmen die Mitarbeiterinnen mit der Mitarbeitervertretung ihrer Heimeinrichtung Kontakt auf und berichteten ihr mündlich wie auch in einem schriftlich als "Streng vertraulich, nur für den Dienstgebrauch" festgehaltenem Protokoll Szenen von Mißhandlungen, denen Kinder wehr- und hilflos ausgesetzt gewesen seien.
Hier ein Auszug:

"Während der Hausaufgabenzeit hielt sich Frau V. mit dem Kind M. bei geschlossener Tür im Bad auf. Frau H., die die Kinder während der Hausaufgaben betreut, hörte M. schreien und sprach ihn später auf seine blutverschmierte Nase an. M. sagte aus, Frau V. habe seinen Kopf festgehalten und ihn mit ihrem Knie auf die Nase geschlagen ... M. wurde von Herrn Asch. wegen Fehlverhaltens auf sein Zimmer geschickt. Herr Asch. ging ihm dorthin nach und schloß die Zimmertür. Frau B. hörte M. schreien und betrat daraufhin das Zimmer. Sie traf das Kind auf dem Bett sitzend mit starkem Nasenbluten an. Seine Kleidung, die Bettwäsche sowie der vor dem Bett liegende Läufer waren blutverschmiert. Herr Asch., der daneben stand und einen recht verstörten Eindruck machte, behauptete, M. sei unglücklich auf die Bettkante gefallen ... Kinder werden oftmals von Frau V. zwecks diziplinarischer Maßnahme brutal und schmerzhaft an den Ohren gezogen ... In der Vorweihnachtzeit zeigte das Kind S. Frau B. einen faustgroßen Bluterguß auf dem Oberschenkel. S. sagte aus, Herr Asch. habe ihn immer wieder auf die selbe Stelle geschlagen und erst, als er zu weinen anfing, damit aufgehört und behauptet, das sei nur Spaß gewesen ... Das Kind J. wurde laut eigener Aussage von Herrn Asch. am Hals gepackt und mit dem Kopf gegen den im Keller befindlichen Sicherungskasten geschlagen ... Als Strafmaßnahme für Kinder, die abends im Bett nicht leise sind, werden diese von Herrn Asch. barfuß und im Schlafanzug vor die Tür gestellt. Diese Vorgehensweise praktiziert Herr Asch. auch bei winterlichen Temperaturen ... Oftmals nächtigt Herr Asch. mit Kindern in deren Bett. Herr Asch. wurde von Frau B. zusammem mit der 9jährigen S. in deren Bett angetroffen. Alle drei genannten Kinder haben in ihrer Vorgeschichte sexuellen Mißbrauch durch ihnen nahestehende Personen erlebt."

Die vier Mitarbeiterinnen richteten die ausdrückliche Bitte an die Mitarbeitervertretung, "im Interesse und zum Schutz der in der Wohngruppe lebenden und uns anvertrauten Kinder um Untersuchung und Klärung der von uns geschilderten Vorkommnisse und um Einleitung und Durchführung der entsprechenden erforderlichen Konsequenzen".

Das Protokoll wurde der Heimleitung und - spätestens - Anfang Februar 1992 dem Bischöflichen Ordinariat und dem Verwaltungsrat zugänglich gemacht. Das Bistum Mainz und die Heimleitung wurden heimintern aktiv. Trotz der schwerwiegenden Beschuldigungen, die durch Aussagen betroffener Kinder bestätigt wurden, trennte man sich nicht von der Mitarbeiterin V. und des Mitarbeiters Asch. Noch schlimmer: Mit Zustimmung des Bistum Mainz wurden beide im Februar 1992 auf andere Gruppen versetzt, wo sie auch weiterhin für die Betreuung und Erziehung der Kinder mitverantwortlich waren.

Noch im gleichen Monat geschah etwas Unfaßbares und Unbegreifliches: In der Nähe von Klein-Zimmern wurde ein Haus angemietet, in dem Frau V. und einige Zeit später Herr Asch. in leitenden Positionen - beide heirateten zwischendurch - unter ihren Familiennamen ("Familiengruppe V.") eine Familiengruppe betreiben durften.

Ein ehemaliger Mitarbeiter der Heimeinrichtung erstattete im Sommer 1993 gegen die Heimleitung und mehrere MitarbeiterInnen bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt Strafanzeige wegen Verdacht der schweren Körperverletzung, Mißhandlung Schutzbefohlener und des sexuellen Mißbrauchs von Kindern. Nicht nur das Ehepaar V. habe Kinder mißhandelt, auch andere Mitarbeiter hätten sich der Mißhandlung von Schutzbefohlenen schuldig gemacht.

Im Dezember 1993 benachrichtigte er auch das Landesjugendamt - Heimaufsicht - in Wiesbaden. 
Daraufhin kamen Heimleitung und das Bistum Mainz im Januar 1994 in große Bedrängnis, nachdem sie bis dahin pflichtwidrig gegenüber den zuständigen Behörden, Eltern und MitarbeiterInnen bewußt geschwiegen haben.

In einem Schreiben vom 22. Februar 1994 an die MitarbeiterInnen spielte Domkapitular G. E. den Ahnungslosen. Der Kirchenmann, der über die von den Mitarbeiterinnen berichtete Malträtierung der Kinder ausreichend Kenntnis hatte, versicherte allen MitarbeiterInnen, er bemühe sich um eine lückenlose Aufklärung sämtlicher Vorwürfe:

 "Das Landesjugendamt Hessen hat den Verwaltungsrat des St. Josefhauses Klein-Zimmern schriftlich über die Anschuldigungen gegen Mitarbeiter des St. Josefhauses informiert ... Der Verwaltungsrat ist an der Aufklärung dieser Vorwürfe interessiert ... Gemeinsam mit der Heimleitung sind wir der Ansicht, daß die für die anstehenden Entscheidungen notwendigen Aufklärungen einwandfrei durchzuführen sind ... Wir bitten um Ihre Mitsorge und Mithilfe gerade in der derzeitigen schwierigen Situation."

Zur "Verschwiegenheit verpflichtet"

Bereits einen Tag vor Anfertigung dieses Schreibens an die MitarbeiterInnen, nämlich am 21. Februar 1994, wurde auf einer Gruppenleiterkonferenz eine Strategie entwickelt, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zum Schweigen verpflichtet soll: Im Protokoll dieser Gruppenleiterkonferenz ist nachzulesen, daß sich alle Konferenzteilnehmer zur "Verschwiegenheit verpflichten; jeder Mitarbeiter bekommt heute noch eine Kopie § 5 AVR * mit der Empfehlung, sich wie Verwaltungsrat und Heimleitung im Umgang mit der Öffentlichkeit zu verhalten". Anders ausgedrückt: Alle sollen sich disziplinell und loyal gegenüber dem Dienstherrn verhalten und eisern schweigen, denn, so ist es dem Protokoll zu entnehmen: das "Interesse der Öffentlichkeit (ist nur) vorübergehend".

* Fußnote: § 5 Abs. 1 AVR (Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des deutschen Caritasverbandes): "Besondere Dienstpflichten: Das Gebot der Verschwiegenheit in allen dienstlichen Angelegenheiten besteht nicht nur während des Dienstverhältnisses, sondern auch nach dessen Beendigung." 


Alle haben sich an ihre Dienstpflicht - konkret: Schweigegebot - gehalten. Niemand hatte den Mut, gegen das schreiende Unrecht zu protestieren: Keiner wagte es, im Interesse der Kinder, mit den Mißhandlungsvorfällen, wie sie insbesondere im Protokoll der Mitarbeiterinnen beschrieben worden sind, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und dennoch wurden - immerhin anonym - einige schwere Anschuldigungen gegenüber der Presse erhoben:

Ein Diakon, der auf zwei Freizeiten im Schwarzwald die Rolle des Organisators innehatte, soll an zwei Jugendlichen Alkohol ausgegeben und ihnen Gewalt- und Porno-Videos gezeigt haben. Zur Belohnung habe er verlangt, daß die beiden ihn sexuell befriedigen (Darmstädter ECHO , 08. März 1994). Gegen den Diakon laufen strafrechtliche Ermittlungen.

Ein Mitarbeiter berichtete dem Darmstädter Echo, der stellvertretende Heimleiter P. A. habe sich "schwere Verfehlungen zuschulden kommen lassen". Dieser habe nicht nur von den schweren Mißhandlungen gewußt, er habe auch nichts unternommen. Noch schlimmer: Der stellvertretende Heimleiter sei Zeuge eines schlimmen Zwischenfalls gewesen: Während eines Aufenthalts in Schweden, deklariert als "erlebnispädagogisches Projekt", an dem mehrere Jugendliche und ein Betreuer teilnahmen, soll dieser Betreuer die Jugendlichen oftmals geschlagen und mit Nahrungsentzug bestraft haben. Der Betreuer soll überdies mit einem Gewehr auf ein Schlauchboot, in dem ein Jugendlicher sich auf einem See befunden habe, geschossen haben. Der Junge sei in Panik geraten und ins Wasser gesprungen, nachdem das Boot zweimal getroffen wurde (Darmstädter ECHO , 26. Februar 1994).

Die schwedischen Behörden hatten 1992 die Verantwortlichen, darunter das hessische Landesjugendamt, über die Vorfälle informiert. Doch man zog hieraus keinerlei Konsequenzen. Insbesondere wurde die Staatsanwaltschaft nicht eingeschaltet, der betroffene Betreuer nicht entlassen.

Der Betreuer wurde aus Schweden zurückgerufen und konnte trotz der Vorwürfe auch weiterhin für das St. Josephshaus arbeiten, indem man ihn mit der Betreuung von zwei Jugendlichen in einer Wohngruppe in R. - im Rahmen einer sogenannten Individualmaßnahme - betraute.
Im August 1993 wurde der Betreuer von der Wohngruppe zurückgezogen und das Angestelltenverhältnis aufgelöst. Doch bereits am 1. September 1993 wurde er als freier Mitarbeiter weiterbeschäftigt - und mit einem neuen Projekt "Erlebnispädagogik" in Schweden betraut.

Domkapitular G. E., in Personalunion Dezernent für Caritas und Soziales (hier angegliedert ist die Heimaufsicht, die für alle Kinder- und Jugendheime des Bistums Mainz zuständig ist) und Vorsitzender der Caritas im ganzen Bistum Mainz und Vorsitzender des Verwaltungsrats, untersuchte im Auftrag des Bistum Mainz gemeinsam mit dem Landesjugendamt die schweren Vorwürfe, von denen er bereits seit zwei Jahren detailliert Kenntnis hatte.

Gegenüber der Presse erklärte er, daß das Bistum Mainz keinesfalls irgendetwas unter den Teppich kehren will. Im übrigen, so Domkapitular G. E. gegenüber dem Kirchenblatt des Bistums Mainz Glaube und Leben, habe der Verwaltungsrat im Februar 1994 - genau zwei Jahre später, nachdem der Kirchenmann und das Bistum Mainz über ausreichende Kenntnisse bezüglich der schweren Vorwürfe verfügten -  "sofort gehandelt und Kündigungen ausgesprochen". Die Dienstverträge mit den Betroffenen endeten in Wirklichkeit jedoch nicht durch Kündigung, sondern wurden, nachdem das Landesjugendamt den Träger massiv unter Druck setzte, "in gegenseitigem Einvernehmen aufgehoben", wie Domkapitular G. E. in dem Schreiben an die MitarbeiterInnen betonte, wobei möglicherweise vom Bistum Mainz Abfindungen gezahlt worden sind.

Als die Vorwürfe an Intensität zunahmen, wurde der stellvertretende Heimleiter P. A. beurlaubt, und kurze Zeit später - "auf eigenen Wunsch" und "im Interesse einer umfassenden Sachaufklärung" - auch der Direktor des Heims, E. K. Beide hatten Kenntnisse über die schweren Mißhandlungen.
Trotzdem hielte das Bistum Mainz im Rahmen seiner »Fürsorgepflicht« unerschrocken an dem Direktor und seinem Stellvertreter fest: Auf einer Abteilungsleiterkonferenz vom 14.03.94 versicherte Domkapitular G. E. ihnen seine uneingeschränkte Solidarität:
"Herr E.K. ist auch weiterhin Leiter der Einrichtung und wird es nach dem Willen des Verwaltungsrates auch bleiben." - "Im Augenblick wird geprüft, welche andere Funktion ihm (P. A.) zugeordnet werden soll."

Das Bistum Mainz und Domkapitular G. E. konnten sich jedoch gegenüber dem Landesjugendamt nicht durchsetzen: Die Heimaufsicht verlangte die totale Entfernung des Direktors und seines Stellvertreters. Domkapitular G. E., der sich zunächst mit Vehemenz gegen diese Forderung wehrte, gab seinen Widerstand auf, nachdem ihm angedeutet wurde, daß eine mögliche Schließung der Einrichtung nicht zwingend auszuschließen sei. Der Kirchenmann, dem es sehr schwergefallen sein muß, sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß er die beiden Herren innerhalb der Heimeinrichtung nicht mehr wird halten können, verstand die "Warnung" und ließ seinen Direktor und dessen Stellvertreter, über die er schützend seine Hände ausgebreitet hatte, über die "Klinge springen".

Gegenüber dem Darmstädter Echo räumte der Kirchenmann plötzlich öffentlich ein: Auch der bisherige Heimleiter und sein Stellvertreter hätten über ihre Gesamtverantwortung Anteil an den Vorkommnissen im Heim. Der Heimleitung, so wurde nun offiziell festgestellt, waren die meisten Vorwürfe bekannt; sie wurden entweder gar nicht oder nicht mit der nötigen Konsequenz verfolgt.
Er verschwieg gegenüber der Presse jedoch ganz bewußt die Tatsache, daß auch er von den schweren Vorwürfen Kenntnis hatte - und die Heimleitung schützte.

Noch schlimmer: Domkapitular E. G., gegen den die Staatsanwaltschaft Darmstadt im Sommer 1997 aufgrund seines Eingeständnisses, von den Vorwürfen seit Anfang 1992 Kenntnis zu haben, Ermittlungen aufgenommen hat (das Ermittlungsverfahren ist später eingestellt worden; über die Einstellungsbegründung lässt sich durchaus streiten!), übernahm höchstpersönlich die kommissarische Leitung der Einrichtung.

Der Kirchenmann versuchte trotz der laufenden Untersuchung, über die in einer Abteilungsleiterkonferenz vom 28. Februar 1994 (mit den Fragen: "Der Verwaltungsrat und das Landesjugendamt fragen sich, ob sie kompetent gehandelt haben?" und "Wer hat seit wann was gewußt?") diskutiert wurde, die Vorfälle zu bagatellisieren: Bei den "pädagogischen Fehlhandlungen" würde es sich um "Einzelfälle" handeln.
Gleichzeitig versuchte das Bistum Mainz herauszufinden, wer mit den Vorwürfen an die Medien herangetreten ist.

Einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen - darunter Zeugen der Staatsanwaltschaft Darmstadt - sollen ganz bestimmt nicht im Auftrag des Bistums von leitenden Mitarbeitern der Heimeinrichtung eingeschüchtert worden sein. Von diesen mutmaßlichen Einschüchterungen berichtete ein früherer Mitarbeiter dem "Sehr geehrten Pfarrer E." in einem Schreiben vom 28. Februar 1994. Zum Schluß seines vierseitigen Schreibens an Domkapitular G. E. führte er aus: "Die Angelegenheit macht mich sehr betroffen, insbesondere die Abfolge von inhaltlicher Reaktion, derer die doch offensichtlich wider besseres Wissens handeln, um Menschen zu verängstigen, um sie gefügig zu machen. Das hat doch nichts mehr mit Loyalität zu tun." 
Obwohl in dem Schreiben zahlreiche Fälle von Bedrohungen  bzw. Nötigungen bzw. Einschüchterungen, denen MitarbeiterInnen ausgesetzt gewesen sein sollen, beschrieben sind, hat der Briefschreiber eine Antwort des "Sehr geehrten Pfarrer E." nie erhalten. 

Mit den Mitgliedern der früheren Heimleitung, über die ein Mantel der Nächstenliebe und Barmherzigkeit ausgebreitet wurde, scheint das Bistum Mainz nach der Formel: »Gnade vor Recht« umgegangen zu sein: So ist es nicht erstaunlich, daß der frühere Heimdirektor E. K. und sein damaliger Stellvertreter P. A. immer noch für die katholische Kirche tätig sind, obwohl beide durch das Bistum Mainz belastet wurden. Dem Bistum Mainz ist auch bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Darmstadt gegen beide ermittelt. 

Der ehemalige Direktor E. K. ist seit 1. August 1994 für den Aufbau eines Forschungsinstituts »Kinder- und Jugendhilfe« innerhalb des - dem Caritasverband in Freiburg angeschlossenen - Verbandes Heim- und Heilpädagogik  leitend tätig. 
Zwischen seinem damaligen Stellvertreter P. A. und dem Bistum Mainz und dem Caritasverband Darmstadt e.V. wurde am 30. November 1994 ein Gestellungsvertrag abgeschlossen. Laut § 1 des Vertrags "überstellt" das "Bistum Mainz/St. Josephshaus" Herrn P. A. "dem Caritasverband Darmstadt e.V. zum Aufbau eines Betreuungsvereins im Odenwaldkreis und zur Begleitung der Arbeit der ehrenamtlichen Betreuer". Der Caritasverband Darmstadt e.V. "verpflichtet sich, dem St. Josephshaus Klein-Zimmern die Kosten der Vergütung für Herrn A. (Grundvergütung, Ortszuschlag, Allgemeine Zulage, Urlaubsgeld, Weihnachtszuwendung sowie die Personalnebenkosten: Beihilfe, u.ä.) teilweise oder ganz zu erstatten, und zwar in dem Maße, in dem eine Förderung aus der Tätigkeit von Herrn A. an den Verband erfolgt." Unterschrieben ist dieser Gestellungsvertrag von Domkapitular G. E. in seiner Funktion als Verwaltungsratsvorsitzender des St. Josephshauses und dem Caritasdirektor des Caritasverbands Darmstadt e.V., Sch., der gleichzeitig auch stellvertretender Vorsitzender im Verwaltungsrat des St. Josephshauses ist, und Herrn P. A.

Unter den Titel-Überschriften "Gehört Prügeln zum Erziehungsprogramm?", "Nach Streit Prügel bezogen" und "Kommt die Lawine erst richtig ins Rollen?" berichteten bereits im Januar 1986 das Darmstädter Echo und das Darmstädter Tagblatt über eine Strafanzeige, die der damalige im St. Josephshaus untergebrachte Michael S. gegen Herrn P. A. wegen Körperverletzung erstattet hatte. Michael S. gab bei der Polizei an, Herr P. A. habe ihn geprügelt: "Er sei am rechten Auge verletzt worden, leide unter Kopfschmerzen und habe Schmerzen im Unterleib, wo ihn das Knie des stellvertretenden Heimleiters getroffen habe", berichtete das Darmstädter ECHO in seiner Ausgabe vom 22. Januar 1986.
Gegenüber dieser Zeitung erklärte Herr P. A.: "Ich bin darüber sehr betroffen, weil ich mich nicht besser zu zügeln vermochte. Die ganze Sache tut mir sehr leid. Ich habe Michael nicht verletzen wollen." 

"Unvermögen, Willkür, Gewalt, pädagogische Unfähigkeit und hierarchisches Machtstreben" wurde laut Darmstädter Tagblatt Herrn P. A. nicht nur von den Jugendlichen, sondern auch von MitarbeiterInnen vorgeworfen. Herr P. A. habe nach Angaben von Mitarbeitern, ist der Ausgabe des Darmstädter Tagblatt vom 25. Januar 1986 zu entnehmen, "keine Abhilfe bei schwerwiegenden und offenkundigen und ihm auch mehrfach mit Beweisen belegten Mißstände" geschaffen. "Dessen krankhaftes Machtbedürfnis sorge sowohl für miserable äußere Umstände, als auch für eine Atmosphäre des Mißtrauens selbst unter den Mitarbeitern, die häufig gegeneinander ausgespielt würden. Eine der Folgen ist eine starke Mitarbeiterfluktuation, die einer pädagogischen Hilfe und Erziehung der Jugendlichen nicht förderlich sei." 

Das Bistum Mainz (zu dem Zeitpunkt war bereits Karl Lehmann Bischof) soll damals Herrn P. A. einer Suspension - konkret: einer einstweiligen Dienstenthebung - unterworfen haben, nachdem das Landesjugendamt sich einschaltete. Bereits vier Monate später soll dieser wieder an seinem alten Platz zurückgekehrt sein, wo er sich bis Frühjahr 1994 halten konnte.
 

Der schützende Mantel der Nächstenliebe und Barmherzigkeit

Nicht nur in katholischen - dem Deutschen Caritasverband angeschlossenen - Einrichtungen schützen einige der Heimträger bzw. die jeweilige Heimleitung hin und wieder ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch dann noch, wenn ihnen schwere Mißhandlungen von Schutzbefohlenen oder entsprechende Beihilfe angelastet wird. Diese werden, wenn solche Mißhandlungsfälle öffentlich werden und sie deshalb nicht mehr »haltbar« sind, oft mit einer - zum Teil hohen - Abfindung und einem Auflösungsvertrag abgefunden - obwohl eine (fristlose) Kündigung mehr als gerechtfertigt wäre. Noch schlimmer: Über rechtskräftig verurteilte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wird - im Einzelfall - schützend ein Mantel der Nächstenliebe und Barmherzigkeit ausgebreitet, wenn eine besondere Abhängigkeit (zum Beispiel Insider, deren Wissen nicht nach Außen dringen darf!) besteht: Ihnen wird unter dem Dach der Kirche eine Weiterbeschäftigung in anderen Einrichtungen angeboten und zugesichert. 
Der schützende Mantel der Nächstenliebe und Barmherzigkeit wird dann in der Regel nicht mehr weiter über die Betroffenen ausgebreitet, wenn ein unbescholtener Mitarbeiter bzw. eine unbescholtene Mitarbeiterin aus der katholischen oder evangelischen Kirche austritt. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz in Mainz hat mit Urteil vom 9. Januar 1997 das Gottesurteil, das bei Kirchenaustritt verhängt wird, in Form der fristlosen Kündigung, bestätigt: Der Kirchenaustritt gehöre nach kirchlichem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche (AZ.: LAG Rheinland-Pfalz - 11 Sa 428/96).


Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Karl Lehmann, hat sich erstmals im Dezember 1996 aufgrund des Buches des Autors: Gestohlene Kindheit und zahlreicher Presseberichte über den "Fall St. Josephshaus" öffentlich gegenüber den Medien geäußert. Obwohl er seit spätestens April bzw. Mai 1994 Kenntnis von den Mißhandlungen hat. 
Am 16. Dezember 1996 erklärte er auf einer Pressekonferenz im St. Josephshaus Klein-Zimmern: 
"Es ist - daran will ich keinen Zweifel lassen - für uns alle eine sehr große Enttäuschung, wenn ganz wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jahrzehnten sich in einem solchen Haus falsch verhalten und das Vertrauen der Jugendlichen mißbrauchen." 
Lehmann, der über ausreichende Kenntnisse verfügt, daß in seiner Einrichtung vorwiegend Kinder im Alter von sieben bis vierzehn schwersten Mißhandlungen ausgesetzt gewesen sein sollen, fügte hinzu: 

  • "Es tut mir leid, daß in den vergangenen Jahren, jedenfalls zwischen 1992 und 1994, einige Jugendliche hier zu Schaden gekommen sind. Ich bedauere dies zutiefst und verspreche eine noch größere Wachsamkeit aller, die für dieses Haus Verantwortung tragen." 


In der Mainzer Bischofszeitung Glaube und Leben vom 5. Januar 1997 beschwor der Kirchenfunktionär die "Wahrheit" und die "Gerechtigkeit" und kritisierte scharf die "Medienkampagne gegen katholische Heimerziehung". 
Der Gottesmann nahm für sich in Anspruch, die Medien dafür anzuklagen, daß sie über die auch unter christlichen Aspekten zu verurteilende psychische und physische Gewalt, denen Kinder in einem dem Bistum Mainz unterstehenden katholischen Heim wehr- und hilflos ausgesetzt gewesen sein sollen, berichtet haben. Seine Anklage richtete sich aber auch insofern gegen die Medien, als daß diese das unverantwortliche und unchristliche Verhalten des Bistums Mainz beschrieben haben. Lehmann, der sich fast als Zensor aufspielte, ist - aus seinem Blickwinkel heraus betrachtet - ehrlich genug zuzugeben: 

  • "Die Menschen, die in dieses Haus kommen, sind genausowenig reine Engel wie wir." 

Um dann mit der »Anklage« fortzufahren: 

  • "Da werden Fakten verdreht, wird Verdacht um Verdacht gehäuft, werden Mutmaßungen immer wiederholt, Verantwortungsträger öffentlich verunglimpft, jahrhundertelange Bemühungen um die Erziehung junger Menschen als »schwarze Pädagogik« diffamiert ... Im Interesse dieser Mitarbeiter beklage ich die rücksichtslose Sensationsgier, die es sich mit der Wahrheit und mit der Gerechtigkeit leicht macht." 

In einer dpa-Meldung (Deutsche Presse-Agentur) vom 12. Januar 1997, die sich auf eine von der Pressestelle des Bistums Mainz verbreiten Erklärung bezieht, steht unter anderem geschrieben: "Lehmann sei erst 1994 in die Affäre einbezogen worden, als die Heimleitung abgelöst und die Verträge eines Ehepaares aufgelöst worden seien." Lehmann kann nicht entgangen sein, daß die ersten Presseberichte über diese »Affäre« bereits ab Februar 1994 erschienen sind - und man sich erst im April bzw. Mai 1994 von der damaligen Heimleitung trennte. Einen Tag später - am 13. Januar 1997 - wurde von der dpa aufgrund einer von der Bischöflichen Pressestelle verbreiteten neuen Version folgendes verbreitet: "1994 habe sich Bischof Lehmann erstmals mit dem Fall befaßt, als man erkannt habe, daß die Versetzung (des betroffenen Ehepaares, d. Autor) nicht die gewünschte Wirkung hatte. Das Ehepaar sei entlassen und die Heimleitung abgelöst worden."

"Medienkampagne gegen die katholische Heimerziehung"

Der Vorstand des Verbandes katholischer Einrichtungen der Heim- und Heilpädagogik, ein Fachverband des Deutschen Caritasverbandes, dem nach eigenen Angaben "über 400 Mitgliedseinrichtungen, in denen täglich mehr als 18.000 junge Menschen" betreut werden, angeschlossen sind, erhob in einer vom Deutschen Caritasverband Freiburg verbreiteten Pressemitteilung vom 17. Januar 1997 eine Anklage gegen die "Medienkampagne gegen die katholische Heimerziehung". Die Medien "zeichnen oft ein Bild von Heimerziehung in der Öffentlichkeit, das beleidigend und in seinen pauschalierenden Aussagen unwahr ist": "Er protestiert auf das entschiedenste gegen das Unrecht, das damit auch und insbesondere den in der Heimerziehung lebenden jungen Menschen angetan wird."
In der Pressemitteilung geht der Vorstand mit keinem Wort auf die jungen Menschen ein, die auch in Mitgliedseinrichtungen seines Verbandes schwersten Mißhandlungen an Leib und Seele wehr- und hilflos ausgeliefert waren. Dem Pressetext ist auch hinsichtlich der christlichen - früheren - Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die rechtskräftig verurteilt worden sind - oder gegen die wegen Verdacht der Mißhandlung von Schutzbefohlenen strafrechtliche Ermittlungen laufen - nichts zu entnehmen.


Eine Mutter klagt heute das Bistum Mainz an, nicht verhindert zu haben, daß zwei ihrer Söhne, die sieben und acht Jahre alt waren, als sie in das St. Josephshaus untergebracht wurden, ihren Angaben nach in einer Familiengruppe "mißhandelt und sexuell mißbraucht worden sind": 
"Meine Kinder sind aggressive Kinder geworden; der eine ist sehr depressiv, der andere weint nur noch: dieser ist in sein Kleinkindalter zurückgefallen, denn er ist keine elf Jahre, sondern sechs Jahre alt. Meine Kinder sind kaputt! Ich kann meine Kinder nicht mehr retten!"
Eine andere Mutter, deren Sohn auch im St. Josephshaus untergebracht war, ist immer noch ergriffen von den Schilderungen ihres Kindes:

  • "Mein Sohn hat mir erzählt, daß er und andere Kinder oft geprügelt wurden. Er durchlebt heute noch diese schlimme Gewalt: Immer wieder wird er durch schlimme Träume aus dem Schlaf gerissen. Mein Kind wacht schreiend, am ganzen Körper zitternd, schweißgebadet auf und weint." 

Kirchenmann Lehmann, dem das Leid der betroffenen Heimkinder sicherlich immer noch sehr nahe geht, hat die skandalöse und menschenverachtende Erklärung seines Leitenden Rechtsdirektors und Justitiars, H. B., zu verantworten, der im Hinblick darauf, daß das Bistum Mainz seit spätestens Anfang 1992 über ausreichende Kenntnisse bezüglich der Mißhandlungsvorwürfe verfügte - und weder die Öffentlichkeit, noch das Landesjugendamt Hessen - Heimaufsicht - im Rahmen der vorgeschriebenen Meldepflicht, noch die Strafermittlungsbehörden einschaltete -, in den Mainzer Bistumsnachrichten vom 27. November 1996 erklärte: 

  • "Das Unterlassen einer Strafanzeige ist nur dann strafbar, wenn eine Rechtspflicht zur Anzeige besteht. Das war hier nicht der Fall, da die Entscheidung im Ermessen des Verwaltungsrates lag und ein Ermessensmißbrauch nicht vorliegt."


Daß die Staatsanwaltschaft Darmstadt, die seit Juli 1993 gegen mehrere (ehemalige) MitarbeiterInnen des St. Josephshauses ermittelt (Stand: 30. September 1997), die Strafermittlungsverfahren weitgehend immer noch nicht abgeschlossen hat, ist nicht nachvollziehbar: Es ist nicht auszuschließen, daß ein Teil der Ermittlungen wegen Verjährung eingestellt werden müssen. Bisher ist nur in einem Fall gegen eine frühere Mitarbeiterin Anklage erhoben worden, die mittlerweile vom zuständigen Gericht zugelassen wurde.

Bisher wurde eine frühere Erzieherin angeklagt. Am 4. Februar fand vor dem Amtsgericht Offenbach der Prozeß statt. Die Angeklagte gestand, in drei Fällen acht- bis zehnjährige Jungen körperlich mißhandelt und in einem Fall ein zehnjährigen Jungen sexuell mißbraucht zu haben: Einem Kind habe sie derart heftig am Ohrläppchen gezogen, daß dieses einriß; einem zweiten Kind habe sie durch einen Faustschlag ins Gesicht mißhandelt, der zu Nasenbluten führte; einem dritten Kind habe sie derart gegen ihr Knie gezogen, daß auch dieses Nasenbluten davontrug; einem Kind habe sie über »mütterliche Streicheleinheiten« hinaus dessen Glied manipuliert, während sie im Bett des Jungen lag.

Aufgrund ihres Geständnisses erhielte die frühere Erzieherin neun Monate Haft auf zwei Jahre Bewährung sowie eine Geldbuße von 2. 500,00 Mark.
In seiner Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende Richter, einige der Kinder sind gerade wegen sexueller †bergriffe, denen sie in ihren Familien ausgesetzt waren, im St. Josephshaus untergebracht worden. Die Öffentlichkeit dürfe daher erwarten, daß diese Kinder im Heim nicht neuerlichen sexuellen Mißhandlungen ausgesetzt würden. Züchtigungen an Kindern seien nicht hinzunehmen: "Die körperliche Unversehrtheit von Kindern ist ein hohes Rechtsgut."
Auch der damals im St. Josephshaus tätige Erzieher und Ehemann der verurteilten Erzieherin ist wegen Misshandlung Schutzbefohlener und sexuellen Missbrauch eines Kindes zu einer Geldstrafeverurteilt worden. 

Im März 1995 wurde bekannt, daß junge Menschen im katholischen St. Josef-Stift in Eisingen bei Würzburg, einer der größten Behinderteneinrichtungen in Unterfranken, in dem 340 sogenannte geistig behinderte Menschen untergebracht sind, jahrelang von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen schwer mißhandelt und gequält wurden. 
Eine Heilerziehungspflegerin, die auf der betroffenen Gruppe 132 tätig war, sah sich eine kurze Zeit lang fassungslos an, was ein Kollege und zwei Kolleginnen unter christlicher Pädagogik verstanden und praktizierten - und wurde bei der Heimleitung vorstellig. Sie klärte die Heimleitung darüber auf, daß die Gruppenleiterin U. K., von Beruf Erzieherin, die Hilfskraft W. E., die wie zahlreiche andere der 500 MitarbeiterInnen über keine pädagogische Ausbildung verfügt, und der Praktikant E. G. über einen längeren Zeitraum mehrere der dort lebenden jungen Menschen wiederholt psychisch und physisch brutal mißhandelten und quälten. 
Auch verbalen Beschimpfungen und Beleidigungen wie "Du Drecksau", "Du Drecksack" und "Sauhammel" waren die Heimbewohner wehrlos und hilflos ausgesetzt. 
In einem - schriftlich festgehaltenen - Gespräch, das ein Bereichsleiter im Auftrag der Heimleitung am 27. Januar 1995 mit der Heilerziehungspflegerin führte, schilderte diese ein brutales Geschehnis: 
Nach einem Sparziergang sei sie, E. G. und ein paar Jugendliche auf das Haus 13 zugegangen: 
 

  • "Christian F. lief voraus und ließ sich durch Zurufe nicht zurückhalten. Christian F. war zur damaligen Zeit sehr schwerhörig. Erst jetzt, nach seiner Operation, hat sich dieses Handicap gebessert. Wir verloren Christian aus dem Auge, und aus Angst, daß er davonläuft, beschleunigten wir unseren Schritt und fanden ihn dann am Hintereingang auf uns wartend. Herr G. ging auf ihn zu, gab ihm zwei oder drei Ohrfeigen und schrie: »Du hast nicht wegzulaufen, du weißt, daß du auf uns warten mußt, ich habe es dir verboten, davonzulaufen!«
    Christian legte sich, wie es seine Art in einer solchen Situation ist, auf den Boden und Herr G. trat ihm in die Seiten, worauf Christian schrie und weinte. Ich war zuweit von der Situation entfernt, um direkt Einfluß nehmen zu können. Ich sah, wie Herr G. dann Christian an den Haaren in das Haus zog und die vier Stufen zu unserem Gruppeneingang hinauf. Christian krabbelte teilweise, hat sich wieder fallenlassen, aber Herr G. hat ihn fest an den Haaren gehalten und weiter zur Gruppentür hingezogen." 

Der Bereichsleiter hielt weiter schriftlich fest:

  • "Frau K. berichtet weiter, daß sie die gesamte Situation in der Gruppe als sehr strafend und wenig verständnisvoll, was die Bewohner betrifft, erlebt. Der psychische Druck und die psychischen Strafen wirken ihrer Meinung nach ebenso mindestens genauso auf die Entwicklung der Bewohner wie die körperliche Züchtigung. Frau K. schildert auch, daß die sehr engen, straffen Regeln, die die Bewohner betreffen, sich auch ganz stark auf die Mitarbeiter auswirken und von daher kaum situationsorientiert im Gruppenalltag gehandelt werden könne. Es sei kein fröhliches Arbeiten, sondern es sei nur ein Gebote- und Verordnungenausführen." 

Die Heilerziehungspflegerin selbst wurde einem massiven psychischen Druck ausgesetzt: Während einige nichtbetroffene Kollegen und Kolleginnen sie später mit Worten wie: "Du Nestbeschmutzerin" und "Du Verräterin" beschimpften, schwiegen die anderen. Noch schlimmer: Die christlichen MitarbeiterInnen schweigen auch weiterhin: aus Angst, durch Solidarität könnte ihre (berufliche und somit ökonomische) Existenz gefährdet werden. Sie nehmen dabei billigend in Kauf, daß mindestens einige der (sogenannten) behinderten Menschen möglicherweise auch heute noch gequält und mißhandelt werden. 
Die Beschuldigten selbst bestritten die Vorwürfe, machten aber gleichzeitig Erinnerungslücken geltend und beriefen sich rein vorsorglich auf das Notwehrrecht. Noch schlimmer: Im Dezember 1988 war die Gruppenleiterin U. K. Mitverfasserin von "Gruppennormen", die im März 1989 modifiziert wurden. In diesen "Gruppennormen", die als christliche, pädagogische Grundlage der klerikalen Heimerziehung verstanden wurden, steht geschrieben: 

  • "Wenn ein Behinderter auf seiner Ebene handelt und in Worten nicht erreichbar - ansprechbar - ist, werde ich ihm auf seiner Ebene mit angemessenen Mitteln begegnen." 

Welche Mittel die kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für pädagogisch angemessen hielten, schrieben sie in diesen "Gruppennormen" nieder: 

  • "Aussondern in einen anderen Raum" - "kalt duschen" - "Ohrfeige" - "scharf anschauen" - "eine Arbeit übernehmen lassen" - "Jede/r Mitarbeiter/in soll klar und deutlich handeln und die Antwort geben, die in dieser Situation zu dem betreffenden Behinderten und zu ihm selber paßt." - "Schlagen", so die kirchlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, "ist das allerletzte Mittel, um Grenzen deutlich zu machen." - "Nach Absprache mit dem Erzieherteam" dürfen Betroffene, die ihr Essen wegwerfen, kein neues Essen bekommen. - "Wer entsprechende Mengen nascht, bekommt bei den nachfolgenden Mahlzeiten nichts mehr." - Mit "Essensentzug" mußten die Heimbewohner immer rechnen: "Wer nach dem Gong und Gebet nicht zum Essen kommt, d.h. am Tisch sitzt, sagt damit, daß er nichts will." 


In einem "Gruppen-Buch" protokollierten die Beschuldigten einen Teil ihrer strafrechtlich relevanten Handlungen: Die verschiedenen Mißhandlungsformen sind dort mit Akribie festgehalten. Hier einige Beispiele: 

  • "Es sind große Lätze da für die Schweinchen, sie liegen im oberen Schrankfach."

  • "Michel hat ohne Vorwarnung Blumen abgerissen. Er hat nicht gesehen, daß der Wasserschlauch angeschlossen ist, es gab die kalte Dusche."

  • "Heiko kann sich sein »aufgehobenes Essen« über den ganzen Tag einteilen. Zum Frühstück hat er es nicht geschafft. Etwas anderes gibt es heute nicht, bevor es nicht weg ist! Vielleicht lernt der gute Mann dadurch einmal, wie man mit Essen umgeht. Ich bin stink sauer!!!"

  • "Michel hat es mal wieder geschafft! Nachdem er sich den Nachmittag über unmöglich verhielt, erhielt er als Konsequenz für sein Verhalten zum Abendessen Zwieback. Daraufhin zertrümmerte er sein Glas und ging in sein Zimmer = negative Verstärkung. SCHÖN WAR'S!" (»Negative Verstärkung« bedeutet, den Heimbewohner unter Mithilfe mindestens eines weiteren Heimmitarbeiters zu verprügeln. Der Autor)

  • "Michel hat nach dem Abendessen Wurst geklaut = trocken Brot morgen zum Frühstück."

  • "Michel hat nach dem Frühstück Gerdis Kaffe getrunken = trocken Brot."


Auch die folgenden Beispiele zeigen, daß die (klerikale) "Schwarze Pädagogik" immer noch traurige Realität ist:

  • Heimbewohner, die sich beim Tischgebet - versehentlich - falsch bekreuzigt oder ein Gebet falsch aufgesagt haben, mußten damit rechnen, daß sie geprügelt oder vom Essen ausgeschlossen wurden.

  • Essensreste, die Heimbewohnern bei der nächsten Mahlzeit wieder aufgetischt wurden, gehörten ebenso zu dem Repressionsinstrumentarium wie verschimmeltes Brot.

  • Heimbewohner, die ins Bett machten, wurden an den Haaren ins Bad gezerrt und brutal unter die kalte oder heiße Dusche gestellt oder in eine Wanne mit kaltem oder heißem Wasser gezwungen; ihnen hat man eine ganze Woche lang kein Mineralwasser gegeben. 

  • Die Intimsphäre der Heimbewohner wurde nicht beachtet: Im Flur mußten sich alle nackt ausziehen und sich dann im Bad aufhalten. Das zweite Bad, das der Gruppe zur Verfügung steht, wurde nicht mitbenutzt.

  • Den Heimbewohnern wurde das Recht auf Sexualität, das Ausleben sexueller Bedürfnisse verweigert: Erwischte man einen bei der Onanie oder zwei beim Austausch homoerotischer Bedürfnisse, griff man auf ein besonderes, althergebrachtes, brutales Unterdrückungsinstrumentarium zurück: Die Betroffenen wurden körperlich malträtiert - sprich: körperlich mißhandelt -, dann unter die kalte Dusche gezerrt und mit Worten wie: "Du schwule Sau!" verbal beschimpft und beleidigt. 


Eine Erzieherin, die erst seit eine Woche auf der Gruppe 132 tätig war, fertigte im Herbst 1994 umfangreiche Tages-Protokolle. Diese schriftlichen Aussagen bedürfen keiner näheren Kommentierung. Hier einige Auszüge:
 

  • "Der Besuch im Zoo ist zu Ende. Am Zoo-Ausgang befinden sich einige Kioske. Alle sollen Eis bekommen. Michael G. bekommt von U. K. zwei Ohrfeigen. Ich frage: Was war los? Verstehe den Grund nicht und bekomme zur Erklärung: Michael versteht Schläge am besten. Michael weint - bekommt kein Eis. Er möchte bei anderen schlecken, wird aber zurückgestoßen.
     

  • Außenstehende Besucher haben die Situation bemerkt, wundern sich offensichtlich über unsere Gruppe."
     

  • "W. E. kontrolliert die Schultaschen. Grund? Sie findet ein zusammengelegtes Pausenbrot mit Mettwurst. Das Brot ist ca. drei bis fünf Tage alt. Frau E. zeigt mir das alte verdorbene Pausenbrot und erklärt, daß der Bewohner Heiko S. sein Pausenbrot nicht gerne ißt und es im Flurbereich versteckt.
    Ich erlebe, wie Heiko das alte Brot essen muß. Heiko würgt das alte Brot ohne Widerrede."
     

  • "Betreuer E. G. ist mit Christian F. im Bad. Es ist dort sehr laut - Streitgespräch mit Christian. Ich gehe in die Personaltoilette und höre, daß Christian aufgefordert wird, aus dem Bad zu gehen. Christian möchte sehr gerne baden (Zeit und Möglichkeit wäre gegeben). E. G. fordert Christian nun sehr laut auf, das Bad zu verlassen und ins Zimmer zu gehen. Ich höre einen schmerzhaft-lauten Au-Schrei von Christian. Ich verlasse die Toilette Richtung Gruppenraum. Christian stürzt an mir mit nasser Kleidung vorbei. Er wird in sein Zimmer gesperrt. Ich höre Christian laut schreien: »Mama, hilf mir, Mama, komm!«. E. G. bestimmt, daß er zur Strafe zum Abendessen Zwieback statt Würstchen bekommt. Christian weint noch mehr.
    Ich gehe, schließe sein Zimmer auf. Christian sitzt nackt bei geöffnetem Fenster auf dem Bett. Ich frage: Warum weinst Du?
    Christian antwortet erst nicht. Als ich ihn in den Arm nehme, erzählt er: »E. G. hat mich mit heißem Wasser übergossen, mir tut der Rücken weh.«
    Ich sehe, daß Christians Haut in der Schulterpartie links gerötet ist."
     

  • "Micha will sein Essen: Fisch mit Salat und Remouladensoße nicht essen. Er muß aber den Teller leer essen, das ist Pflicht auf der Gruppe 132. Frau E. beugt sich über Micha, er kann nicht mehr ausweichen, und zwingt ihn, weiter zu essen. Micha weint, hat den Mund voll und würgt mit vollem Mund.
     

  • Frau E. schlägt Micha auf den Kopf und droht damit, daß er an diesem Wochenende nicht heim darf, wenn er nicht ißt. Micha weint weiter und schluckt nicht das Essen hinunter. Ich frage Frau E., ob wir das Essen nicht besser wegnehmen, es wird verneint. Es ist 13.00 Uhr, und Herr G. kommt in die Gruppe (Dienstbeginn). Herr G. nimmt die Situation wahr und sagt: »Heute ißt er seinen Teller leer, das will ich genau wissen.« Herr G. nimmt die Arme von Micha und dreht sie auf seinen Rücken. Drückt sie nach oben. Micha schreit laut »Aua«, dabei fällt die Speise aus dem Mund in den Teller. Frau E. deutet auf den Teller und verlangt laut: »Iß auf!« Micha weint immer noch und sagt: »Nein« Herr G. schlägt hart auf Micha ein. Ich zähle drei Schläge. Die Arme werden höher gedrückt, dadurch fällt er mit dem Gesicht in den Teller.
     

  • Mein Dienst endete um 14.30 Uhr. Ich schämte mich vor mir selbst, weil ich unfähig war zu helfen."
     

  • "Gespräch mit Herrn G. wegen Schläge an Micha. Er findet, ich bin zu zart, überempfindlich. Er beharrt darauf, daß sein Verhalten richtig ist. Ich weise ihn darauf hin, daß seine Schläge strafbar sind und kein Mittel, einen pupertierenden Jungen zu erziehen."


Die Erzieherin brachte das brutale Vorgehen von E. G. auf einer Gruppenbesprechung zur Sprache. E. G. und U. K. verteidigten die strafbaren Handlungen. "Das Verhalten von Herrn G. wurde als Machtkampf toleriert, den Herr G. gewinnen mußte", erinnert sich die Erzieherin.
Auch ein Gespräch mit dem Dipl.-Psychologen und Leiter des Heilpädagogischen Fachdienstes, Herrn H., bei dem die Erzieherin Rat und Hilfe suchte und diesen über die schweren strafbaren Handlungen aufklärte, brachte sie nicht weiter. Die Erzieherin hielt schriftlich fest, Herr H. "fühlt sich nicht zuständig. Ich soll es selbst regeln".
Und Herr I., der Bereichsleiter und Diakon, der sich offenbar für die Menschenrechte der betroffenen HeimbewohnerInnen nicht interessierte, warf der Erzieherin "Indiskretion" vor. 
Der Diakon (der zunächst auch weiterhin mit Zustimmung des Vorstands und der Heimleitung die Funktion des Bereichsleiters ausübte und für die betroffene Gruppe 132 weiter Mit-Verantwortung trug), wurde erst entlassen, als ein von seiner Mitarbeiterin U. K. im Herbst 1994 niedergeschriebenes "Pädagogisches Konzept" den Verantwortlichen bekannt wurde. 
Der Diakon I. billigte diese pädagogischen Richtlinien und gab ihnen seinen Segen. Auf der Gruppe 132 wurden die MitarbeiterInnen aufgefordert, sich an diese zu halten. 
Hier einige Auszüge, was unter dem christlichen "Pädagogischen Konzept" verstanden und praktiziert wurde: 

  • "Wir beten morgens ein Morgengebet sowie zu den Hauptmahlzeiten ein Bitt- und ein Dankesgebet. Darauf achten, daß jeder ein Kreuzzeichen macht und ordentlich dasitzt." - "Wer vor Gebetsschluß anfängt zu essen, wartet eine Weile." - "Sonntags Kirchgang ist Pflicht für alle." - "Wer in der Kirche nicht brav ist, braucht auch keine sonntägliche Vergünstigung (Nachtisch, Kuchen...)." - "Alle müssen pünktlich zum Essen kommen, sonst wird abgeräumt. Der Zu-spät-Gekommene kann ein Stück Brot und Tee haben." - "Wer seinen Teller nicht leer ißt, bekommt den Rest zur nächsten Mahlzeit, bevor es etwas anderes gibt."


Über den alltäglichen Umgang mit einigen "schwierigen Jungen" hält U. K. fest: 
 

  • "Morgens darauf achten, daß er seinen Schlafanzug zusammenlegt. Wenn er zuviel an Schränke, Wände, Türen klopft, zur Beruhigung ins Zimmer stecken. Wenn er ausflippt, Zimmer vorher ausräumen. - Wenn er klaut, hat er die nächste Mahlzeit schon gegessen. Aufpassen: klaut auch den Jungs vom Teller. - Möglichst jeden Tag mit ihm spazierengehen. Wenn er sich heißgelaufen hat, tut eine kalte Dusche ganz gut. - Wenn er Kleider zerreißt, muß er sie bis zum nächsten Kleiderwechsel anziehen. Mit zerrissenen Kleidern kann er nicht raus. - Den Mund verbieten, wenn er zuviel redet. Wenn er sich danebenbenimmt, kommt er in sein Zimmer. Manchmal wirkt auch eine kalte Dusche beruhigend. - Im Notfall kann man ihn mit dem Bauchgurt im Bett fesseln. Vorsicht, haut gerne ab!"

Eine Strategie der Verharmlosung und des Verschweigens

Die Stiftung und die Heimleitung, die seit spätestens Januar 1995 über umfangreiche Informationen bezüglich der schweren Mißhandlungen verfügte, haben erst Wochen später die Angehörigen der Betroffenen und die MitarbeiterInnen über die Vorfälle wenigstens teilweise aufgeklärt. 
Die Verantwortlichen, die über mehr Informationen verfügten und sie dennoch zurückhielten, verfolgten offenbar eine Strategie der Verharmlosung und des Verschweigens: Ihr Ziel scheint es ursprünglich gewesen zu sein, einen "Mantel des Schweigens" über das Stift auszubreiten. Denn der Heimleiter des Stifts W. F., der Geschäftsführer N. R., sein Stellvertreter D. N. und der Vorsitzende der Stiftung, Pfarrer H. O. verschwiegen offensichtlich gegenüber den Eltern, den MitarbeiterInnen und der Presse die brutalen Menschenrechtsverletzungen, soweit sie Kenntnisse über das ganze Ausmaß der Mißhandlungen hatten. Sie gestanden in erster Linie ein, Betroffene seien geohrfeigt worden, ohne daß eine Notwehrsituation vorlag. Auch sei nicht im Affekt geschlagen worden. Sie klärten die betroffenen Angehörigen der betroffenen Menschen nicht darüber auf, daß christliche MitarbeiterInnen ihre Söhne nicht nur geohrfeigt, sondern auch geprügelt oder getreten oder zum Essen gezwungen oder mit Essensentzug bestraft oder zur Bestrafung nach Belieben kalt oder heiß abgeduscht oder verbald beleidigt hatten. 


Im März bzw. April 1995 richteten die Verantwortlichen je ein Schreiben an die "lieben MitarbeiterInnen" und an die betroffenen Angehörigen. 
Den Angehörigen teilten sie schriftlich mit:

  • "Es gibt an dieser Sache nichts zu beschönigen und zu verharmlosen." Den Betroffenen, denen "in den zurückliegenden Jahren solche Schandtaten und Qualen widerfahren sind, gehört unser ganzes Mitgefühl. Die Verantwortlichen der St. Josefs-Stiftung entschuldigen sich dafür bei ihnen, ihren Eltern und Angehörigen in aller Form."

Die Verantwortlichen gingen auch auf das "Gruppenbuch", "das zum Zweck hat, nur Organisationsabläufe festzuhalten", ein. Trotz der schweren Mißhandlungen, deren sich die Mitarbeiter in dem "Gruppenbuch" selbst bezichtigten, wurde bei den heiminternen "Untersuchungen" zunächst diesem "Gruppenbuch keine Bedeutung beigemessen", obwohl die Verantwortlichen seit Januar 1995 wußten, daß dort ein Teil der Mißhandlungen mit Akribie niedergeschrieben wurde. Erstaunt war man dennoch über die Selbstbezichtigung der Täter und Täterinnen. Welch ein Zufall: während der Ermittlungen verschwand das "Gruppenbuch" plötzlich spurlos. 

Kritiker bedrohte man mit fristloser Kündigung

Ob die Verantwortlichen der St. Josef-Stiftung - im Rahmen der heiminternen Ermittlungen - von sich aus tatsächlich an einer größtmöglichen Aufklärung der schweren psychischen und physischen Mißhandlungen interessiert waren, könnte man durchaus bezweifeln: In einem Schreiben an die "lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" drohte die Stiftung jedem mit massiver Gegenwehr, der es wagen würde, mit entsprechenden Informationen an die …ffentlichkeit zu gehen. So steht in den "Mitarbeiter -Nachrichten der St. Josef-Stiftung Eisingen" vom 29. Januar 1996 geschrieben:

"Im Interesse aller MitarbeiterInnen des St. Josef-Stiftes und der St. Josef-Stiftung als Ihrem Dienstgeber, aber auch im Interesse der betroffenen Mitarbeiter erinnern wir an die Schweigepflicht (Hervorhebung durch den Geschäftsführer R.) eines jeden Mitarbeiters und jeder Mitarbeiterin.
Die Befriedigung eigener Neugier, die Lust auf Sensation und das Bedürfnis, vertrauliche Informationen möglichst vielen Unbeteiligten zugänglich zu machen, ist unkollegial und schadet letztlich uns allen.
Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter, der mit vertraulichen und dienstlichen Informationen ãso lockerÒ umgeht, muß sich darüber im klaren sein, daß ein solches Verhalten arbeitsrechtliche und auch strafrechtliche Konsequenzen (Hervorhebung durch den Geschäftsführer R.) haben kann."

Während die Stiftung bei Bekanntwerden der Vorfälle im Januar 1995 zunächst (aus juristischen Gründen?) unentschlossen war, den beschuldigten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen fristlos zu kündigen (der Heimleiter F. brachte U. K. und E. G. auf anderen Gruppen unter, U. K. wurde sogar wieder Gruppenleiterin; die Suspendierungen - nicht fristlose Kündigungen - erfolgten erst, als betroffene Eltern davon erfuhren und die Presse über die Mißhandlungen berichtete), herrschte nun plötzlich eine wie auch immer geartete Rechtssicherheit, wie man unliebsame Kritiker, die möglicherweise den Mut aufbringen würden, Vorfälle von Mißhandlungen an die …ffentlichkeit zu bringen, sofort »mundtot« machen konnte: durch die Androhung einer fristlosen Kündigung und eines Strafverfahrens. 


Die Bedrohung durch den »Dienstgeber« scheint bei den christlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die gewünschte Wirkung zu zeigen: Die »Mauer des Schweigens« wird mit ihrer ganz persönlichen Hilfe weiter aufrechterhalten. 
»Die Mauer des Schweigens« konnten die Mitarbeiter/Innen, erfolgreich unter Beweis stellen: 
Ende 1995 wurde heimintern bekannt, daß ein medizinischer Masseur und Bademeister Heimbewohnerinnen sexuell mißbraucht und ein Hausmeister eine Heimbewohnerin mit sexuellem Hintergrund beleidigt hatte. 

Der Hausmeister soll bereits vor etwa zehn Jahren wegen Exhibitionismus aufgefallen sein. Die Heimleitung selbst war es, die ihn damals gedeckt und schützend über ihm einen Mantel der Barmherzigkeit ausgebreitete haben soll: Mit der Auflage, sich einer Therapie zu unterziehen, habe sie ihn weiterbeschäftigt. Diese klerikale Barmherzigkeit scheint offenbar der »Dienstgeber« nun dem Hausmeister verweigert zu haben: Mit sofortiger Wirkung wurde ihm und dem medizinischen Masseur und Bademeister gekündigt. 

Nachdem die Staatsanwaltschaft Würzburg von diesen strafbaren Handlungen Kenntnis erlangte, nahm sie entsprechende Ermittlungen gegen den medizinischen Masseur und Bademeister und den Hausmeister auf. Aufgrund der Ermittlungsergebnisse beantragte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht gegen die Beschuldigten Strafbefehle. Das Gericht verurteilte daraufhin den medizinischen Masseur und Bademeister durch Strafbefehl wegen sexuellen Mißbrauchs von Kranken in Anstalten in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung. Und den Hausmeister verurteilte das Gericht durch Strafbefehl wegen Beleidigung (mit sexuellem Hintergrund) zu einer Geldstrafe. 

Die seit Frühjahr 1995 laufenden strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Würzburg gegen acht weitere (ehemalige) Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter des Stifts sind Ende Dezember 1995 abgeschlossen worden. 

Die Staatsanwaltschaft, die mehreren der Beschuldigten (schwere) Körperverletzung, begangen an Schutzbefohlenen, vorwarf, konnte jedoch nur Vorfälle ab 1990 berücksichtigen - mit der Folge, daß die Ermittlungsverfahren gegen drei Beschuldigte wegen Verjährung eingestellt worden sind. In fünf Fällen wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Amtsgericht Strafbefehl mit Strafvorbehalt erlassen; die angedrohte Strafe ist also auf »Bewährung« ausgesprochen und wird erst im Wiederholungsfall vollstreckt; diese Strafbefehle haben mittlerweile Rechtskraft erlangt. 
Gegen die Beschuldigten E. G., U. K., W. E. und B. I. wurde Anklage erhoben wegen schwere Körperverletzung, Mißhandlung von Schutzbefohlenen und, im Falle des Diakons B. I., wegen Verletzung der Garantenpflicht. 

Im Herbst 1996, nach der Anklageerhebung, zog die Staatsanwaltschaft plötzlich die Anklage zurück und verzichtete somit auf eine Hauptverhandlung. Auf Anregung des Würzburger Landgerichtspräsidenten beantragte die Anklagebehörde den Erlaß von Strafbefehlen, die alle Rechtskraft erlangt haben. Die Heilerziehungspflegerin und die Gruppenleiterin wurden wegen vorsätzlicher Körperverletzung in sieben Fällen und Mißhandlung Schutzbefohlener in einem minderschweren Fall bzw. wegen zwei vorsätzlicher Körperverletzungen und Beihilfe zu 120 Tagessätzen, der Erziehungspraktikant wegen zwei minderschwerer Fällen von Mißhandlung Schutzbefohlener und einer vorsätzlichen Körperverletzung zu 90 Tagessätzen und der Bereichsleiter und Diakon wegen Beihilfe zu 75 Tagessätzen verurteilt. 

Daß keine öffentliche Verhandlung stattfand, wurde offiziell mit dem »Opferschutz« begründet, doch in Wirklichkeit spricht einiges dafür, daß man den Täter und Täterinnen, aber auch dem St. Josef-Stift eine öffentliche Verhandlung ersparen wollte. Der Landgerichtspräsident hatte - vermutlich - im Blick darauf, daß die betroffenen Eltern Protest erheben könnten, öffentlich erklärt, man wollte den Opfern den Auftritt in einer Hauptverhandlung ersparen, und im übrigen hätten die Mißhandlungen bei den betroffenen Opfer "keine sichtbaren Spuren hinterlassen". 
Glaubt der Landgerichtspräsident tatsächlich, daß diese Mißhandlungen "keine sichtbaren Spuren hinterlassen" haben? - Daß behinderte Menschen nicht an Körper und Seele schmerzvoll leiden, nachdem sie eine lange Zeit schlimmste Gewalt durch christliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wehr- und hilflos ausgeliefert waren? Und: Wollte und will man diesen Menschen etwa absprechen, Schmerzen, Angst, Trauer und Hoffnungslosigkeit zu empfinden?

Im Mai 1997 wurde der - nicht mehr in der Einrichtung beschäftigte - medizinische Masseur und Bademeister erneut angeklagt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt, weil er während seiner Tätigkeit im St. Josef-Stift eine behinderte Frau sexuell mißbrauchte. Zugunsten des Angeklagten wertete das Gericht sein Schuldbekenntnis und die Tatsache, daß es im St. Josef-Stift "keine oder wenig Kontrollen" gegeben habe, obwohl Überprüfungen "objektiv möglich und nötig gewesen wären".
 

Der Hilferuf an Bischof Scheele verhallte ungehört innerhalb der Gemäuer 

Der Vater eines betroffenen Kindes verfaßte an dem Bischof von Würzburg, Paul Werner Scheele*, ein fünf Seiten langes Schreiben. Inständig richtete der katholische Christ die Bitte an "Eure Exzellenz", ihm uneingeschränkte Hilfe und Beistand zu gewähren. Der besorgte Vater fragte in seinem Schreiben vom 15. Dezember 1996 "Eure Exzellenz": 
"Ist es redlich, wenn die Eltern erst aus der Presse von den Mißhandlungen an ihren Kindern erfahren? Ist es redlich, wenn Eltern und gesetzliche Betreuer strafrechtlich relevante Vorgänge erst aus dem Buch von Herrn Homes erfahren? Ist es redlich, wenn man Mitwisser der Untaten mit der Untersuchung der Vorfälle betraut, so daß wichtige Beweismittel verschwinden können? Ist es redlich, wenn bis heute kein Strafantrag im Zusammenhang mit den durch Mitarbeiter des St. Josef-Stifts an anvertrauten Menschen begangenen Straftaten von der Geschäfts- oder Heimleitung sowie dem Vorstand bei der Staatsanwaltschaft einging?
Eine weitere Frage, die Sie beschäftigen sollte, ist die Frage der Handhabung von Empfängnisverhütung, Abtreibung und Sterilisation. Wissen Sie, wie diese heiklen Komplexe in Ihrem St. Josef-Stift in Eisingen geregelt sind und gehandhabt werden? Wie groß ist hier der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit?" 
Der Hilferuf an Bischof Scheele verhallte ungehört innerhalb der Gemäuer des Bistums Würzburg: Der besorgte Christ bekam keine persönliche Antwort des Klerikers. 

* Fußnote: Gemäß § 15 Abs. 3 der Satzung der St. Josef-Stiftung steht diese Stiftung, die als eingetragener Verein registriert ist, "unter dem Schutz und der Aufsicht des Bischofs von Würzburg". Die im Herbst 1996 modifizierte Satzung trat erst nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Bischof von Würzburg und ihrer Eintragung ins Vereinsregister in Kraft.


Es gab einige Eltern, die gegenüber der St. Josef-Stiftung protestierten und die Entlassung der Heimleitung und der Geschäftsführung forderten. Ohne Erfolg! 
Auch ein von der St. Josef-Stiftung im Spätsommer 1995 an die Gesellschaft für Forschung und Beratung im Gesundheits- und Sozialbereich mbH in Köln in Auftrag gegebenes Gutachten, das die Gutachter im Januar 1996 erstellten, war für die Auftraggeber kein Grund, personelle Konsequenzen zu ziehen. In dem Gutachten wird unter anderem festgehalten: Der Heimleiter, W. F., der seit spätestens 25. Januar 1995 durch Mitarbeiter erfahren hatte, daß Heimbewohner grausam mißhandelt wurden, informierte noch am gleichen Tag den damaligen Vorstandsvorsitzenden, Pfarrer O., und den Geschäftsführer N. R. von den Vorfällen. Weder der Heimleiter noch der Vorstandsvorsitzende hatten, so die Gutachter, die übrigen Vorstandsmitglieder in Kenntnis gesetzt. 

Die "Fachdienste (z.B. medizinisch-therapeutischer Fachdienst, Supervision)", ist dem Gutachten zu entnehmen, "hatten zum Teil ausreichend Kenntnis von den Vorfällen und haben nicht eingegriffen". 
Die Gutachter, die zahlreiche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen befragten, halten in ihrem Gutachten weiter fest: 

  • "Nach Aussagen der InterviewpartnerInnen kann davon ausgegangen werden, daß dem derzeitigen Heimleiter, W. F., wie auch seinem Vorgänger die Probleme auf der Gruppe 132 als auch wiederum die Leistungsprobleme des zuständigen Bereichsleiters in Grundzügen bekannt waren. Beide Problembereiche hätten - bereits seit längerem - Interventionen der Heimleitung z.B. im Hinblick auf die Personalfluktuation, die Angehörigenarbeit und die Aufgabenerfüllung des Bereichsleiters (z.B. Beratung, Anordnung von Supervision ) nahelegen müssen. Das Vorgehen der beiden Heimleiter muß jedoch als eher zögernd und abwartend beurteilt werden, so daß auch mit Blick auf die Heimleitung (zumindest) von einer unzureichenden Wahrnehmung von Aufsichts- und Führungsfunktionen gesprochen werden muß." 


Die Gutachter kritisieren in ihrem Gutachten auch das ursprüngliche Festhalten an die beschuldigten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, denn diesen hätten "angesichts der schwerwiegenden Hinweise auf erhebliches Fehlverhalten fristlos gekündigt werden müssen. Ihre Versetzung in andere Gruppen war ein gravierender Fehler mit erheblichen atmosphärischen Konsequenzen bei Beschäftigten, Eltern und …ffentlichkeit. Nur eine fristlose Kündigung wäre - unbeschadet einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung - ein klares Signal der Einrichtung zugunsten der Bewohnerfürsorge gewesen. Ebenso bleibt das lange Festhalten am Bereichsleiter unverständlich, hier hätte ebenfalls frühzeitig eine fristlose Kündigung ausgesprochen werden sollen". 

Nachdem weitere Vorwürfe gegen den Heimleiter und dem stellvertretenden Geschäftsführer bekannt wurden, trennte sich die St. Josef-Stiftung im Frühjahr 1997 von beiden durch entsprechende »Auflösungsverträge«; die St. Josef-Stiftung soll ihnen die Beendigung der Beschäftigungsverhältnisse mit hohen Abfindungen versüßt haben. Der ehemalige stellvertretende Geschäftsführer arbeitet seitdem in einer der Caritas angeschlossenen Einrichtung für Drogenabhängige als Heimleiter.
 

"Die Kirche muß auch Kritik ertragen können!"

Eine besorgte, christliche Familie, deren Kind nicht der brutalen Gewalt durch christliche MitarbeiterInnen ausgesetzt war, richtete am 10. Dezember 1996 ein Schreiben an Domkapitular K. R. vom Bischöflichen Ordinariat Würzburg:
"Grüß Gott, Herr R!
Weihnachten steht vor der Tür, das Fest der Liebe und der Freude - so wird es dann auch wieder in unseren Kirchen gepredigt. Dies ist auch der Grund, warum wir Ihnen unsere Erfahrung mitteilen... Wir dachten: Das St. Josef-Stift ist eine kirchliche Einrichtung, jedoch haben wir noch nichts davon bemerkt. Zu all den schrecklichen Dingen, die da geschehen sind, hat die Kirche bis jetzt geschwiegen. Weder eine Entschuldigung noch ein Wort, daß sich der Caritasverband dafür einsetzt, diese Sachen lückenlos auszuklären (...) Kein Wort und Mitgefühl für unsere Behinderten, die ja laut Medien über Jahre diese Mißhandlungen erleiden mußten, obwohl die Geschäftsleitung davon wußte. Jeder Tierschützer erhält dafür, daß er sich für mißhandelte Tiere einsetzt, mehr Unterstützung und Verständnis als hier Eltern und Behinderte erfahren haben (...) Die Kirche muß auch Kritik ertragen können. Die Kirche macht sich so stark, wenn es um Verhütung und Abtreibung geht. Hier geht es um Menschen aus Fleisch und Blut mit einem Herzen im Leib, die genauso der Liebe und Zuneigung bedürfen wie alle Menschen; es sind keine Monster (...) Diese Kirche thront auf einem sehr hohen Roß. Wer ihr nicht paßt, den übergeht man, läßt ihn zappeln. Kein Wunder, daß so viele Menschen aus der Kirche austreten."


Anfang 1998 wurde öffentlich bekannt, daß eine Heimbewohnerin ohne Einwilligung der Eltern im Rahmen einer amtsärztlichen Untersuchung von zwei Humangenetikern der Universität Würzburg untersucht worden ist. Hierbei wurden von der Betroffenen Fotos angefertigt. Die Leiterin des medizinisch-therapeutischen Dienstes des St. Josef-Stifts, Frau Dr. H., Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, versicherte später gegenüber der Geschäftsführung der St. Josef-Stiftung, daß dies der einzige Fall gewesen sei, bei dem sie ohne die notwendige Zustimmung der betroffenen Eltern gehandelt habe. Diese Darstellung bekräftigte sie durch eine eidesstattliche Versicherung, wobei ihr die Bedeutung solch einer eidesstattlichen Erklärung bekanntgewesen sein dürfte: Die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt ist strafbar - und wird mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Es bestehen offenbar - möglicherweise - Zweifel an der Richtigkeit dieser eidesstattlichen Versicherung. 

Ob es sich hier tatsächlich um einen Einzelfall handelt, ist mehr als fraglich: 
Wie Frau Dr. H. und der Humangenetiker Prof. Dr. G. , Leiter der der Universität Würzburg angeschlossenen Abteilung für Medizinische Genetik im Institut für Humangenetik, auf einer Informationsveranstaltung im März 1998 im St. Josef-Stift einräumten, habe man etwa 160 bis 170 Heimbewohnern Blut abgenommen. Mindestens 30 behinderte Menschen habe man darüberhinaus weitergehende humangenetische Untersuchungen unterzogen. Professor G. begründete dies u. a. damit, daß bei den Behinderten die einst gewonnene Diagnose nach heutigem medizinischen Kenntnisstand oft überholt ist: "Die humangenetisch ausgebildeten Ärzte sind in der Lage, Behinderungen unklarer Ursache abzuklären." 

Im Rahmen der Untersuchungen seien die Betroffenen "nur äußerlich angeschaut" worden; für Eingriffe wie Blutabnahme seien schriftliche Einverständniserklärungen der Eltern eingeholt worden. Auf der Informationsveranstaltung räumte der Humangenetiker nunmehr ein, ihm hätten solche Erklärungen nicht vorgelegen; er habe vorausgesetzt, so seine letzte Version, daß solch eine Erklärung vorliege, wenn ihm ein anderer Arzt Blut schicke. 
Eine von dem Elternbeirat veranlaßte Umfrage bei den Eltern und Betreuern hatte jedoch ergeben, daß der größte Teil von ihnen nicht informiert wurde, demnach eine Einwilligung zu diesen Eingriffen in zahlreiche Fälle nicht vorlag. 
 

  • Im April 1998 räumte das Humangenetische Institut laut der Frankfurter Rundschau ein, tatsächlich "jahrelang Blutproben behinderter Heimbewohner ohne deren Einverständnis und Wissen für Forschungszwecke genutzt zu haben".

  • Die Bayerische Landesärztekammer, vom St. Josef-Stift um eine Stellungnahme gebeten, erklärte, eine Einverständniserklärung von Eltern oder Betreuern ist dann nicht notwendig, wenn die Untersuchung für die Therapie medizinisch indiziert ist: "Wenn eine sinnvolle therapeutische Indikation bestand, dann war es in Eisingen offenbar üblich, einen Mediziner von außerhalb des Stifts heranzuziehen." 

Unter juristischen Gesichtspunkten betrachtet ist von einer Körperverletzung auszugehen, wenn eine ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen bzw. dessen Eltern bzw. des Vormundschaftsgericht nicht vorliegt. Für derartige Untersuchungen muß immer eine entsprechende Zustimmung vorliegen. Entsprechend ist die Staatsanwaltschaft Würzburg aktiv geworden und hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Frau Dr. H. hat im Februar 1998 der Geschäftsleitung gegenüber erklärt, daß St. Josef-Stift zu verlassen und sich selbständig zu machen; natürlich habe ihre eigene Kündigung nichts mit den Vorfällen zu tun. 

Der 1989 aufgelöste Geschlossene Jugendwerkhof Torgau war mit Abstand die härteste, brutalste Jugenderziehungseinrichtung in der DDR. Aufgrund seiner organisatorischen Struktur, Aufbau, Bauart und Sicherheitsvorkehrungen glich er dem Strafvollzug in Haft-und Jugendstrafanstalten. Das Areal, das zuvor als Gefängnis diente, war 4.000 qm groß, das Gelände von drei Meter hohen Mauern umgeben, auf der als Kletterschutz Glasscherben einbetoniert waren, an den Ecken der Umfassungsmauer gab es Wachtürme, am Gebäude selbst befanden sich Scheinwerfer, die Türen und Fenster hatten Vergitterungen mit zum Teil Sichtblenden. Die Zellen nutzte man unverändert als Arrestzellen, die ehemaligen Gefängnistüren mit Spion wurden unverändert übernommen. 
Die Mädchen und Jungen waren überall mit Stahltüren und Gittern umgeben.

Die Jugendlichen, die nach Torgau abgeschoben wurden, waren nicht straffällig. Torgau war Synonym für brutalste Gewalt, die nur ein Ziel hatte: die völlige Anpassung und somit Unterwerfung an die Disziplinierungsanstalt. Torgau war aber auch die Ultima ratio im Erziehungssystem der DDR: Jugendliche, die sich der "Schwarzen Pädagogik" der Jugendwerkhöfen und Spezialkinderheimen nicht bedingungslos unterwarfen, wurden in der Regel spätestens hier gebrochen. 

Etwa 5.000 Mädchen und Jungen durchliefen diese Diziplinierungsanstalt von ihrer Gründung 1965 bis zu seiner Schließung 1989.

Die "Stätte des Grauens" unterstand Margot Honeckers Volksbildungsministerium. Die gesetzliche Grundlage für den Jugendwerkhof Torgau wurde durch die "Anordnung über die Spezialheime der Jugendhilfe" der DDR vom 22. April 1965 geschaffen: "Der geschlossene Jugendwerkhof ist eine Disziplinareinrichtung im System der Spezialheime der Jugendhilfe. In dieser Einrichtung werden Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren aufgenommen, die in Jugendwerkhöfen und Spezialkinderheime die Heimordnung vorsätzlich schwerwiegend und wiederholt verletzen. Der Aufenthalt darf in der Regel 6 Monate nicht übersteigen. Über die Aufnahme entscheidet auf Antrag des Leiters des Spezialheimes der Leiter der Zentralstelle für Spezialheime der Jugendhilfe."

Die Jugendlichen waren der Willkür ihrer ErzieherInnen wehr- und hilflos ausgeliefert. Die Gründe der Bestrafung waren insbesondere Flucht, Arbeitsverweigerung, Mißachtung der Haus- oder Arrestordnung, Störung der Nachtruhe oder des Unterrichts, renitentes Verhalten, gruppenzersetzendes Verhalten, Kontakte zum anderen Geschlecht usw. 
Die Straf- und Sanktionsmittelen bestand insbesonde aus Gruppenabsonderung, Nachtisolierung, Verlängerung des Heimaufenthalts, körperliche und seelische Gewalt, Freiheitsberaubung, Demütigung, Entwürdigung. Auch der Sport wurde als Strafinstrumentarium eingesetzt. Zum militärischen Drill gehörten insbesondere: "Sturmbahnlaufen", "Entengang", mit Gewichten beschwert mehrere Hofrunden drehen, der sogenannte "Stuhlgang", bei dem der Jugendliche mit einem Stuhl in den Flur treten, über den Stuhl springen und anschließend mit dem Stuhl in den Händen 10 Kniebeuge machen mußte, und der sogenannte "Torgauer Dreier", der aus Liegestütz, Hocke und Hockstrecksprung bestand.

Ein Dokument der vollzogenen "Schwarzen Pädagogik" ist auch eine Anweisung über die Anwendung und Gebrauch von Schlagstöcken, in der geschrieben steht, daß drei Schlagstöcke, die nur in Notwehr oder zur Abwendung einer persönlichen, unmittelbar bestehenden Gefahr Verwendung finden dürfen, im Erziehungszimmer vorhanden sein müssen. Aussagen Betroffener bestätigten, daß immer wieder zugeschlagen wurde. Auch "Kopfnüsse" und das Schlagen mittels eines Schlüsselbundes gehörten dazu.

Doch die mit Abstand schlimmste Bestrafung in Form des Straf- und Unterdrückungsinstrumentariums war die zwangsweise Unterbringung in einer Arrestzelle.
Einer Anordnung über die zeitweilige Isolierung von Minderjährigen aus disziplinarischen Gründen in den Spezialheimen der Jugendhilfe vom 1. Dezember 1967 ist zu entnehmen:

  • "Bei besonders schwerwiegenden und wiederholten Verstößen gegen die Heimordnung, bei wiederholter Arbeitsverweigerung, bei Aufwiegelung anderer Minderjähriger und bei wiederholten Fluchtversuchen kann in Spezialheimen zur Sicherung anderer Personen, zur Sicherung des Minderjährigen selbst sowie zur Beseitigung einer akuten Gefahr eine zeitweilige Isolierung veranlaßt werden. Bei jeder zeitweiligen Isolierung ist stets sorgfältig zu überlegen, welche Wirkung und Reaktion diese Maßnahme beim Minderjährigen auslösen wird."

In den Heimen der DDR, und zwar unabhängig ihrer jeweiligen Bezeichnung, wurden Kinder und Jugendliche nicht nur mit der Isolierung, also dem Einsperren in Isolierzellen, bedroht: unzählige Mädchen und Jungen haben immer wieder viele Stunden, manchmal sogar Tage in den Isolierzellen verbringen müssen. 
 

"Das ist unsere Endlösung"

Einen Einblick in den Heimalltag in der ehemaligen DDR konnten sich die West-Deutschen kurz vor der Wiedervereinigung im Sommer 1990 verschaffen. 
Die Illustrierte STERN beschrieb, mit großen Fotos bebildert, das menschenverachtende, würdelose... Leben in verschiedenen Anstalten des SED-Staats, so zum Beispiel im "Medizinisches Zentrum Kreis Stralsund". 

Die STERN-Mitarbeiter wurden von der Leiterin der Anstalt, der Kinderneuropsychiaterin Frau Dr. R., in die Abgründe eines Systems geführt, das "nicht förderungsfähige" Kinder im Vorschulalter "aussortiert und zur Verwahrung in Heime und psychiatrische Krankenhäuser abschiebt". Frau Dr. R. rechtfertigte gegenüber dem STERN die Käfig- und Zwingerhaltung mit einer faschistisch durchsetzten Terminologie:  "Sie werden sehen, 50 von 70 Kindern hier sind Vollidioten. Denen ist es völlig egal, wo sie liegen. Die haben keine Hospitalismusschäden. Denn dazu gehört ein gewisser Intellekt." "Schlafsaal für Schlafsaal wird aufgeschlossen", so die STERN-Mitarbeiter, "Käfig an Käfig, Bett an Bett. Darin liegen gefesselte Kinder, unter Netzen zusammengekauerte Leiber ... Chefärztin Dr. R. führt uns in Räume, in denen Jugendliche in großen Käfigen hausen. ãWir haben hier keinen Platz für Isolierzellen. Ich bin froh, daß die Männer unserer Schwestern für die Kinder diese Hundezwinger aus Gußeisen gebaut haben. Sie haben sie schön bunt angemalt, damit sie ein bißchen freundlicher aussehen. Das ist unsere Endlösung."
Die Ärztin, die versicherte, daß die Kinder "mindestens die doppelte Dosis" von Medikamenten (zum Beispiel das Beruhigungsmittel Haloperidol und Faustan, das DDR-Valium, aber auch sexualdämpfende Medikamente), die ein Erwachsener bekommt, zur Ruhigstellung erhalten, erzählte den STERN-Mitarbeitern im Plauderton von Kindern, die "ohne Krankheitssymptom" plötzlich gestorben sind, an Atemstillstand oder Kreislaufzusammenbruch: "Cornelia war eine ganz Kernige. Sie konnte laufen, selber essen und sich anziehen. Wir mußten sie fast immer in den Käfig sperren. Eines Abends hat sie ein paar Mal nach Luft geschnappt und war tot. Einfach so."


Der Anordnung zur "Durchführung der zeitweiligen Isolierung" sind auch die "Bedingungen und Formen der zeitweiligen Isolierung" zu entnehmen:

  • Die Isolierung durfte demnach nur bei Jugendlichen durchgeführt werden, "die älter als 14 Jahre sind. In Ausnahmefällen dürfen Kinder, die das 12. Lebensjahr vollendet haben, für maximal 12 Stunden isoliert werden". Das Recht zur Anordnung der Isolierung lag bei dem Heimleiter. Dieser mußte vor der Einweisung mit dem Betroffenen ein Gespräch führen, "in dem u.a. die Gründe der Einweisung genannt werden. Die Anordnung ist schriftlich zu begründen und der Akte des Minderjährigen beizufügen". 

Weiter heißt es in der Anordnung: 

  • "Die Isolierung kann als Isolierung während der Freizeit oder als Arrest angeordnet werden. Die Isolierung während der Freizeit kann für die Dauer von 6 Tagen angeordnet werden. Der Minderjährige besucht dabei die Schule bzw. geht einer Arbeit nach. Seine Freizeit verbringt er im Arrestraum des Heimes. Arrest darf in der Regel bis zur Dauer von 3 Tagen angeordnet werden. Während des Arrestes wird der Jugendliche auch vom Schulbesuch und von der Arbeit ausgeschlossen. Muß in Ausnahmefällen der Arrest für mehr als 3 Tage angeordnet werden, so ist hierzu die Zustimmung des für die Einrichtung zuständigen Referates Jugendhilfe des Rates des Bezirkes erforderlich. Der Arrest darf höchstens auf 12 Tage ausgedehnt werden. Für Kinder bis zu 14 Jahren darf Arrest nicht angeordnet werden."


Auch die Einrichtung des Arrestraumes ist in dieser Anordnung festgeschrieben:

  • Die Grundfläche soll "mindestens 6 x 2 m" betragen und einen "Rauminhalt von mindestens 20 m3" haben. "Das Fenster soll etwa 60 x 120 cm groß, hoch angebracht und aus Drahtglas sein. Zur Sicherung sind mindestens 12 mm starke Eisengitter allseitig in die Außenwand einzulassen. Die Tür soll aus starkem Material bestehen. Außer einem Schloß sind zur Sicherung zwei starke Riegel außen anzubringen. Es darf keine Klinke in den Innenraum hineinragen. Um den Raum von außen her übersehen zu können, ist ein mit starkem Glas abgedeckter Spion anzubringen, der mit einer Klappe versehen ist ... Die Möblierung des Arrestraumes besteht aus: 1 Bett mit Matratze (möglichst an der Wand verschraubt), 1 Wandklapptisch, 1 Hocker (möglichst an der Wand befestigen), Toiletteneimer bzw. Spülklosett. Das Bett ist tagsüber an der Wand anzuschließen. Bei nicht fest mit der Wand verbundenen Betten sind die Auflagenmatratzen tagsüber zu entfernen."

Verstoß gegen die Menschenrechte

"Aus dem Selbstverständnis sozialistischer Pädagogik waren Umerziehung, pädagogisches Regime und politisch-ideologische Indoktrination geeignete Mittel der Erziehung. Dieser Ansatz bedeutete im GJWH (Geschlossener Jugendwerkhof) Torgau Disziplinierung, Unterdrückung, Verweigerung angemessener psychologischer Betreuung, letztlich einen schweren Verstoß gegen die Menschenrechte. Der Verstoß gegen die Menschenrechte wirkt besonders erschwerend, da es sich bei den Insassen um minderjährige Jugendliche gehandelt hat, die einer besonderen Fürsorge der Gesellschaft bedurft hätten ... Der Jugendwerkhof diente als Sammelbecken für eine ganz spezielle Randgruppe der Gesellschaft und reproduzierte diese immer wieder, so daß es auch zu Zweit- und Dritteinweisungen kam. Letztlich war eine Erfahrung vieler Randgruppen in der ehemaligen DDR, daß Auffälligkeit oder Anderssein massiv unterdrückt und aus der ...ffentlichkeit verdrängt wurde ... Die Art und Weise der Unterbringung und Behandlung der minderjährigen Jugendlichen stellt unseres Erachtens
1. eine grobe Mißachtung der Persönlichkeit des Jugendlichen
2. eine Unterdrückung und Deformation der Individualität des Menschen und
3. einen schweren Verstoß gegen elementare pädagogische Prinzipien dar.
Die in der Einrichtung tätig gewesenen Pädagogen, die freiwillig dort arbeiteten, haben sich moralisch schuldig gemacht. Sie haben sich schuldig gemacht, indem sie sich in den Dienst dieser Disziplinierungsanstalt begaben und darüber hinaus in eigener Verantwortung zusätzlich willkürliche Repressalien gegenüber den Jugendlichen verübten."
Auszug aus dem "Abschlußbericht des Unabhängigen Untersuchungsausschusses zu Vorgängen im ehemaligen Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau" 


Im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau gab es eine beängstigend hohe Selbstmordrate. Mädchen und Jungen im Alter ab 14 Jahre haben immer wieder versucht, sich auf verschiedene Weise das junge Leben zu nehmen: durch Erhängen, durch Trinken von Giftstoffen, durch Schlucken von Nägeln oder Nadeln, durch Aufschneiden der Pulsader.

In der DDR gab es verschiedene Typen von Heimen: Aufnahmeheime, Jugendwerkhöfe, Geschlossener Jugendwerkhof, Sonderheime und Spezialheime.
In einer Anordnung über Spezialheime der Jugendhilfe, die im Einvernehmen mit den Leitern der zuständigen zentralen Organe des DDR-Staatsapparates und in †bereinstimmung mit dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund - Sozialversicherung - entstanden ist, wird zum Beispiel festgehalten: 

  • "In den Spezialheimen werden schwererziehbare und straffällige Jugendliche sowie schwererziehbare Kinder aufgenommen, deren Umerziehung in ihrer bisherigen Erziehungsumgebung trotz optimal organisierter erzieherischer Einwirkung der Gesellschaft nicht erfolgreich verlief. Der Aufenthalt im Spezialheim stellt eine Etappe im Prozeß der Umerziehung dieser Kinder und Jugendlichen dar."

Die Umerziehung wurde vollzogen "auf der Grundlage der sozialistischen Schulpolitik und Pädagogik mit dem Ziel der Heranbildung vollwertiger Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft und bewußter Bürger der Deutschen Demokratischen Republik". Der Prozeß der Umerziehung, ist dieser Anordnung zu entnehmen, "vollzieht sich im Heim im Rahmen der Allgemeinbildung, (...) der staatsbürgerlichen Erziehung, einer sinnvollen Freizeitgestaltung und einer straffen Ordnung und Disziplin. Die Kinder und Jugendlichen werden aktiv in den Erziehungsprozeß einbezogen".

In Meerane bei Zwickau existierte solch ein Spezial-Kinderheim, das im Gegensatz zum Jugendwerkhof Torgau die "Wende" überlebte. Auch hier war man durch die Umerziehung sehr bemüht, durch eine straffe Ordnung und Disziplin aus jungen Menschen "vollwertige Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft" zu machen. Anfang der neunziger Jahre übernahm das Diakonische Werk Sachsen das Heim, das sich nunmehr Georg-Krause-Kinderheim nennt. Die "Wende" überlebt haben auch einige der dort beschäftigten ErzieherInnen - sie wurden übernommen und weiterbeschäftigt. 

Kinder sollen in dem Spezialkinderheim bis mindestens 1989 wehr- und hilflos einer menschenunwürdigen und menschenverachtenden "Schwarzen Pädagogik" ausgesetzt gewesen sein: ErzieherInnen hätten insbesondere mit physische, psychische, verbale Gewalt und Freiheitsberaubung die Kinder durch ihre "Kindheit" begleitet. Das behaupten mehrere ehemalige Heimkinder gegenüber der Staatsanwaltschaft Chemnitz. Mario S. ist einer von ihnen. Der heute 23jährige war von 1986 bis 1989 im Spezialkinderheim Meerane untergebracht. Im Oktober 1996 erstattete er gegen sieben ErzieherInnen, von denen drei heute noch dort tätig sind, Strafanzeige wegen Mißhandlung Schutzbefohlener, Körperverletzung und - in einem Fall - sexuellen Mißbrauch. Mindestens fünf ehemalige Heimkinder haben sich Mario S. durch die Erstattung eigener Strafanzeigen angeschlossen.

Mario S., der sich nach seiner Heimzeit dreimal das Leben nehmen wollte, erinnert sich, daß er bereits am ersten Tag im Spezialkinderheim Meerane mit der brutalen Heimwirklichkeit konfrontiert wurde: 

  • "Ich sollte mich der Erzieherin L. vorstellen, doch ich wollte nicht, ich weinte und wollte wieder heim. Ich blickte zu ihr hoch, zitterte am ganzen Körper und drehte mich von ihr weg. Plötzlich spürte ich einen Schmerz im Gesäß, Frau L. hatte zugetreten." Frau L., Mutter von zweier Kinder im Alter von 3 und 10 Jahren, soll die Mißhandlungsform auf erschreckender brutaler Weise gesteigert haben. Mario S., den Tränen nahe, scheint, während er mit bewegender Stimme weiter berichtet, diese von ihm als "Kindheit des Grauens" bezeichnete Zeit noch einmal zu durchleben: "Sie zog mich an den Haaren, nahm meinen Kopf, steckte ihn in ein Waschbecken und drehte das kalte Wasser auf. Ich weinte noch lauter. Sie packte mich wieder an den Haaren und steckte dann meinen Kopf in ein WC und betätigte die Spülung. Nachdem die Wasserspülung aufhörte, fragte sie mich, ob das nun reiche. Vor Angst bejahte ich. Am Wochende zwang sie mich, mit einer Nagelbürste den Korridor zu reinigen."

Während dieser Heim-Zeit hatte Mario S. nur ein Ziel vor Augen: Flucht!:

  • "Als ich am Sonntag bei einem Sparziergang die Flucht ergriff und zur Oma fuhr, wurde ich bei ihr von der Polizei abgeholt und ins Heim zurückgebracht. Zur Strafe sperrte mich Frau L. in einer Kellerzelle mit vergitterten Fenster ein, wo ich die Nacht verbringen mußte."

In dieser Zelle sei er mehrmals eingesperrt worden, so auch wegen Störung der Nachtruhe. 
 

Arrestbelehrung

Da Sie die Hausordnung des Jugendwerkhofes Torgau nicht eingehalten haben, werden Sie mit Arrest bestraft. Sie haben sich im Arrest entsprechend der nachstehenden Ordnung zu verhalten:

a) Ihnen ist im Arrest verboten:
1. Das Singen und Pfeifen
2. Das Lärmen
3. Das Herausschauen aus dem Fenster
4. Das Benutzen der Lagerstätte außerhalb der Nachtruhe
5. Der Besitz von Büchern, Zeitungen, Bleistiften und dergleichen
6. Das Beschmieren und Beschriften der Wände und Türen
7. Jede Art der Unterhaltung mit anderen Jugendlichen.

b) Weiterhin haben Sie folgende Anordnung zu befolgen:
1. Wird die Arrestzelle geöffnet, haben Sie eine stramme Haltung einzunehmen und Meldung zu machen. Inhalt der Meldung ist: Name - Dauer des Arrestes - Grund des Arrestes - die schon verbüßte Zeit.
2. Der Hocker hat in der Mitte der Zelle zu stehen.
3. Die Lagerstätte steht in der Zelle links neben der Wand am Fenster.
4. Der Kübel steht in der Zelle rechts neben der Tür. Dinge des persönlichen Bedarfs, wie Zahnbecher, Seife, Kamm werden außerhalb des Arrestes aufbewahrt.
5. Alle in der Zelle vorhandenen Einrichtungsgegenstände sind schonend zu behandeln.
(...)

c) Sollten Sie gegen die Arrestordnung verstoßen, werden notwendige erzieherische Maßnahmen - Arrestverschärfung - angewandt.
Die in den Arrestzellen und in anderen Räumlichkeiten befindlichen roten Alarmmelder sind nur im Notfall zur Benachrichtigung eines Erziehers zu nutzen. Jeder Mißbrauch ist verboten.


Mario S
. erinnert sich sehr lebhaft an den Erzieher M., der ihn sexuell mißbraucht habe: 

  • "Bei einer ihrer Besuche schenkte mir meine Oma eine Stoffmaus, die mir Herr M. nach Besuchsende abnahm. Eines abends holte mich Herr M. aus dem Bett; er forderte mich auf, ihm ins Erzieherzimmer zu folgen. Er holte die Stoffmaus aus einem Schrank und ging mit mir ins Nachtwachezimmer. Herr M. hielte mir spielerisch die Stoffmaus ans Gesicht, dann an den Bauch und an mein Geschlechtsteil. Er rieb die Stoffmaus eine längere Zeit lang an mein Geschlechtsteil, und ich bekam dadurch eine Erektion. Herr M. hatte noch nicht genug und schlug mir mit einem Schreibstift auf den Penis."

Mario S. erinnert sich, daß die Kinder sich vor dem Duschen nackt in einer am Fußboden angebrachten Linie aufstellen mußten. Hierbei sei es auch vorgekommen, daß der "Erzieher mit einem Stöckchen die Kinder an den Geschlechtsteilen berührte". Auch seien die Kinder hin und wieder von Erziehern und Erzieherinnen eingeseift worden.

Mario S. erinnert sich an einen Jungen, dessen Eltern die Ausreise in die BRD beantragt hatten und deren Antrag genehmigt wurde. Erzieher M. wollte die Meinung der Kinder hierzu erfahren und fragte, was sie davon hielten. 

  • "Ich erklärte ihm", berichtet Mario S., "dem T. ginge es in der BRD ganz bestimmt besser als hier in diesem Knast. Herr M. gab mir einen heftigen Tritt ins Gesäß und zog mich heftig an den Haaren. Damit nicht genug: Ich mußte von 20 bis 23 Uhr ununterbrochen stramm stehen und die Arme waagrecht nach vorne hin ausstrecken. Und als meine Knie einknickten, schlug er mit einem dicken Stock in die Kniekehlen. Die heftigen Schmerzen und Krämpfe durch das lange Stehen interessierten ihn nicht."


Mario S. erinnert sich auch an den Erzieher H., der nach der "Wende" im Heim Karriere machte, indem er zum Heimleiter aufstieg: 

  • "Vor dem hatten alle Kinder Angst, da er als brutal und gefährlich galt. Er schlug zu, wenn einer was angestellt hatte, und verteilte Strafarbeiten wie Schuhputzen, Reinigen des Treppenhauses mit einer Zahnpürste." 

Erzieher H., der auch von anderen Zeugen als brutal eingestuft wurde, habe einen Jungen besonders brutal mißhandelt, berichtet Mario S.: 

  • "Ich habe mitansehen müssen, wie Herr H. einen Jungen seiner Gruppe immer wieder schlug; der Junge hatte auf dem Rücken grünlichblaue Flecke. Ich habe auch gesehen, daß Herr H. den Jungen, der nur mit einem Slip bekleidet war, einmal auf dem Korridor mit einer Peitsche schlug."

Auch ihm, berichtet er, habe der Erzieher H. "mit dieser Riemenpeitsche geschlagen, er schlug zwei- bis dreimal auf meinen Rücken. Ich mußte auch Liegestütze machen". 
Der damalige Heimleiter des Spezialkinderheims, versichert Mario S., "hatte zum Teil Kenntnis von den Mißhandlungen, denen ich ausgesetzt war, doch der schwieg. Ich habe ihm zum Beispiel einmal Hämatome an meinem Körper gezeigt, doch er interessierte sich für diese Verletzung nicht". 

Nicht nur von ErzieherInnen sei Gewalt ausgegangen. Auch der frühere Musiklehrer des Spezial-Kinderheims Meerane, Herr I., an dem Mario S. keine gute Erinnerung hat, sei ihm gegenüber gewalttätig gewesen: Herr I. habe ihm damals während des Musikunterrichts eine "Gitarre auf den Kopf geschlagen, weil ich den Unterricht störte. Da ich anfing zu lachen, zog Herr I. mich vom Stuhl und stieß mich mit den Kopf gegen die Wand". Mario S. erinnert sich, daß er eine starke Beule mit einer Platzwunde davon getragen habe, "die geklammert werden mußte". Dieser Vorfall wurde, erinnert sich Mario S., der Erzieherin Frau P. mitgeteilt: "Frau P. interessierte sich nicht für die Wunde am Kopf. Sie ordnete an, daß ich die Piss-Becken mit einer Zahnbürste zu reinigen habe. Danach wurde ich in die Kellerzelle eingesperrt."
Der Musiklehrer hatte das große Glück, nach der "Wende" Karriere zu machen: Herr I. wurde stellvertretender Oberbürgermeister der Stadt Meerane. 
 

"Deine Mutter ist tot"

Rainer C., der von Anfang 1982 bis Juli 1984 im Spezialkinderheim Meerane untergebracht war, erinnert sich noch heute an diese Heimzeit und an die "Erzieher". Der Autor gibt wieder, was Rainer C. seinen eigenen Angaben nach dort erlebt hat - und zitiert, der Authentizität wegen ohne stilistische Eingriffe vorzunehmen, aus dessen Gesamtausführungen:

Rainer C. berichtet, Erzieher H., der nach der "Wende" bis November 1997 Heimleiter der Einrichtung war, habe ihn wie auch andere Kinder "Liegestütze, Kniebeuge" und den "Entengang um die Tischtennisplatte bis zum Umfallen" machen lassen: "Auf den Stühlen standen Eimer Wasser, wir mussten unter den Stühlen durchkriechen. Wenn wir den Stuhl mit den Rücken berührt haben, ist der Eimer umgekippt und auf uns raufgefallen. Dann haben wir bei ihm in einer Reihe stehen müssen, dann ist er mit einen Arm hintern Rücken und hat mit der anderen Hand seinen Vollbart gestrichen und suchte sich einen Schüler aus - und sagte: »Nun, mein Sohn, wo ist die Leber?« Wenn er es nicht wußte, wo die Leber sitzt, schlug er mit aller Gewalt den Schüler in die Leber, so daß er zusammenbrach. Und grinste unverschämt."
Erzieher H. habe, so Rainer C., einen "farbigen" Jungen brutal mißhandelt, so daß dieser "mit einem blauen Auge aus dem Keller kam". 
Der Junge R. oder der Junge M., so Rainer C. weiter, habe "einmal vor der Kellertreppe gestanden und wurde mit einer Kugel der Größe einer Bolienkugel beworfen. Der Junge konnte nicht mehr nach links oder rechts wegspringen, denn da war die Mauer. Die Kugel fiel ihm auf den Zeh. Und der Zeh war geschwollen".

Über Herrn I., dem heutigen stellvertretenden Oberbürgermeister der Stadt Meerane, berichtet Rainer C.: 
"Herr I. war Musiklehrer und Erzieher. Herr I. war ein knallharter Erzieher. Ich wurde von diesem Erzieher zwei mal zusammengeschlagen. Das erste mal ist es im 2. Stock passiert, indem er mich aus dem Bett zog und mich in den Flur schlief. Er zog mich auf den Fußboden und schlug mich mit Füße und Hände zusammen. Ich wurde am ganzen Körper getroffen sowie auch am Kopf. Danach musste ich Kniebeugen, Liegestützen und Entengang machen. Das hat sicher 2 Stunden gedauert. Den anderen Tag bin ich ins Krankenhaus gekommen. Das 2 mal spielten wir auf den Hof, da hat mir ein Jugendlicher etwas gesagt. Darauf habe ich ihm geantwortet. Da wird Herr I. sicher gedacht haben, daß ich ihn meinte. Und schnappte mich an den Haaren - und zog mich wieder rein. Er schlief mich über den ganzen Flur und riß mich die Kellertreppe runter. Ich knallte mit dem Kopf auf die Stufen und gegen die Mauer. Danach hat er mich wieder zusammen geschlagen, und ich wachte in der Einzelzelle auf. Dann bin ich wieder ins Krankenhaus gekommen. Ich hatte stark gebrochen und starke Schmerzen im Kopf. Ich hatte kaum etwas gesehen, alles war schwarz vor meinen Augen. Beim 3 mal wußte ich nicht, was passiert ist, ich bin im Krankenhaus aufgewacht. Der Arzt sagte mir, ich habe eine Gehirnerschütterung. Ich musste beim Herrn I. im Entengang die Treppe runter gehen, und das war ihn anscheinend zu langsam - und er schupste mich. Und ich flog mit den Kopf gegen die Mauer. 
Ich habe häufig auch sehr starke Kopfschmerzen. Ich denke auch sehr oft an dieses Heim zurück. Die letzte Zeit ist bei mir kein anderes Thema mehr. Ich hoffe es, daß ich endlich vergessen kann. 
1982 ist meine Mutter gestorben. Diese Nachricht übermittelte mir Herr I. Er sagte: »Komme bitte mit. Gab es irgendwelche Probleme in deiner Familie?« Ich sagte »Ja«. Er sagte ganz locker zu mir: »Deine Mutter ist tot.« Ich durfte nicht zu Beerdigung fahren. 
Ich selbst, wenn ich heute in dieses Kinderheim reingehen würde nach 15 Jahre, würde ich Ihnen genau zeigen können, wo die Einzelzelle und die Duschen im Keller waren. Ich hatte mir in dieser Einzelhaft Selbstmord versucht. Ich habe heute noch die Narben an meinen Armen."

Über die - damalige - Heimerzieherin Frau G. berichtet Rainer C.: "Ich kam ins Kinderheim Meerane. Das war gleich am ersten Tag, da musste ich meine Sachen auspacken. Ich habe gleich von der Frau G. eine geknallt bekommen. Bei dieser Erzieherin wurden wir ständig mit Liegestützen, Kniebeugen und Entengang gequält, bis uns die Füße schmerzten und zu zittern anfingen. Da mußten wir uns in einer Reihe vor die Tischtennisplatte hinstellen und uns ausziehen. Dann begann sie zu lachen über unsere Geschlechtsteile und zeigte mit den Finger. Die Frauen hatten uns häufig eiskalt duschen lassen. Und haben uns immer dabei zugeschaut. Wir mußten immer vom 2. Stock bis in den Keller nackig runterlaufen. Und wir wurden gezwungen, alles zu essen. Ich selbst habe heute noch von Tomaten ein starkes Graußen. Es dürfen heute keine Tomaten auf den Tisch." 


Im Rahmen des Strafermittlungsverfahrens haben zahlreiche ehemalige Heimkinder den Ermittlungsbehörden die Straf- und Sanktionsmitteln wie folgt beschrieben: Daß Reinigen des Korridors mit einer Fingernagelbürste habe genauso zum Heimalltag gehört wie Gewalt in Form von Tritte in den Hintern, an den Ohren ziehen, mit der flachen Hand ins Gesicht schlagen, grobes Anfassen im Genick oder an den Armen, den Kopf ins Erbrochene drücken, Kniebeuge und Liegestütze machen, kalte Dusche, Treppen auf- und absteigen, verbale Gewalt (Idioten, Schweine), das Einsperren in eine Zelle (ein ehemaliges Heimkind berichtete: "Man mußte sich dann vor der Zelle, die nicht beheizt war, nackt ausziehen; in der Zelle gab es keine Decke. Ich selbst war dort oft eingesperrt, so zum Beispiel, weil ich die Nachtruhe störte. Ich mußte ohne Frühstück, Mittagessen und Abendbrot den ganzen Tag dort bleiben"). Immer wieder sei es der Erzieher H. gewesen, der ihn da eingesperrt habe.

In einem SPIEGEL-Bericht, der am 6. Oktober 1997 erschien, verteidigte Heimleiter  H., der von mehreren Zeugen schwer belastet wurde, sich und seine Kollegen gegen die "Verleumdungen": "Wir haben auch zu DDR-Zeiten unter sehr schwierigen Verhältnissen versucht, den Kindern Wärme und Geborgenheit zu geben." Mario S., den Hauptzeugen der Staatsanwaltschaft Chemnitz, diffamierte er als "weichen, linksgestrickten Jungen", der, aufgestachelt von anderen, nichts als "Verleumdungen" verbreite: "Der Junge ist gescheitert, und nun will er uns dafür zum Sündenbock machen."
Um generell die Glaubwürdigkeit des Hauptzeugen in Frage zu stellen, wurde dieser letztendlich vom Heimleiter und vom stellvertretenden Oberbürgermeister I. zu einem kranken Menschen abgestempelt. Entsprechend forderten beide ein Glaubwürdigkeitsgutachten.

Einen Tag nach der SPIEGEL-Veröffentlichung wurde den Beschuldigten von höchster Stelle der Stadt Meerane die "Absolution" erteil: In einer "Amtlichen Stellungnahme zu öffentlichen Vorwürfen gegen den Ersten Beigeordneten der Stadt Meerane" vom 7. Oktober 1997 erklärte der Oberbürgermeister von Meerane, Dr. O.:
"Mir ist bekannt, daß gegen Herrn I., Erster Beigeordneter der Stadt Meerane, und gegen Erzieher des Kinderheimes »Georg-Krause«, Amtsstraße 5 in Meerane, ein Ermittlungsverfahren läuft. Hierfür ist allein die Staatsanwaltschaft zuständig. Solange keine Ergebnisse vorliegen, gibt es seitens der Stadt Meerane keinen Handlungsbedarf. Im übrigen bin ich überzeugt, daß sich die Vorwürfe als haltlos erweisen werden." 
Sicherlich ist es ein purer Zufall, daß Dr. O. heute Oberbürgermeister und der damalige Musiklehrer I. heute sein Stellvertreter ist. 
Vor seiner Zeit als Oberbürgermeister hatte Dr. O. in Meerane eine Arztpraxis und war als Arzt auch für das Spezial-Kinderheim Meerane tätig. Ob Dr. O. zu den Ärzten gehörte, die zu verantworten haben, daß Heimkinder teilweise zur Ruhigstellung Tranquilizer wie "Frenolon" erhielten, ist heute nicht mehr zu eruieren. 

Auch der Diakonie-Direktor, J. B., erklärte dem Heimleiter H. seine uneingeschränkte Solidarität: Gegenüber der Leipziger Volkszeitung versicherte er Anfang Oktober 1997: Für eine Beurlaubung des Heimleiters gebe es keinen Anlaß, "vor allem, wenn man sich klarmacht, daß nach einem Jahr noch kein Ermittlungsergebnis vorliegt". 
Einige Wochen später war Heimleiter H. kein Heimleiter mehr. Den Posten des Geschäftsführers vom Erziehungsförderverein e.V. Meerane, Träger der Heimeinrichtung, den dieser seit Anfang der neunziger Jahre innehat, führt er auch weiterhin aus. 

Die Staatsanwaltschaft hat gegen zahlreiche frühere und noch tätige MitarbeiterInnen Anklage erhoben; die gesamte Anklage wurde vom Landgericht Chemnitz nicht zugelassen. Die Begründung lautete: Alle in der Anklageschrift aufgeführten Straftaten seien verjährt. Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft folgerichtig in zahlreichen Fällen, die ihrer Rechtsauffassung nach nicht verjährt waren, Beschwerde beim Oberlandesgericht Chemnitz eingelegt. Das Oberlandesgericht hat mittlerweile der Beschwerde in den wesentlichen Punkten stattgegeben mit der Folge, dass das Landgericht das Hauptverfahren jetzt eröffnen muß. 

Dem früheren Leiter des Erzbischöflichen Kinderheims St. Kilian in Walldürn (Neckar-Odenwald-Kreis), E. K., der dort von 1969 bis Oktober 1995 Direktor war, wurde im Frühjahr 1995 vorgeworfen, über "längere Zeiträume verteilt kontinuierlich immer wieder Kinder geschlagen" zu haben. Der Diplom-Psychologe R. R., der bis Ende 1994 in dem Heim, in dem 80 Kinder zwischen fünf und achtzehn Jahren untergebracht sind, arbeitete, hatte gegen den achtundsechzigjährigen Priester, der auch gleichzeitig der Beichtvater des Kinderheims war, eine entsprechende Strafanzeige gestellt. 
Der Diplom-Psychologe berichtete den Ermittlungsbehörden: 

  • "Der Heimleiter rühmte sich wiederholt der Tatsache, daß er Kinder schlägt, gegenüber den ErzieherInnen und einem betreuenden Psychologen. Er stellte diese Mißhandlung als notwendige pädagogische Maßnahme dar. Dieses Schlagen von Kindern fand nicht im Affekt unwillkürlich statt. Im Gegenteil wurden die Kinder oft erst tagelang nach ihrem ãVerbrechenÒ geschlagen." 

Er schilderte den Ermittlern einen konkreten Fall: 

  • "Zum Beispiel der vierzehnjährige Markus M. Sein Vergehen war, daß er mittags beim Geschirrspülen mit seinen Gruppenkameraden herumalberte. Als er einem Freund den Spüllappen nachwarf, traf er die Eßzimmertischlampe und beschädigte eine kleine handtellergroße Glasscheibe (Schätzwert ca. 10,- DM). Tage später begegnete das Kind dem Heimleiter auf dem Hof in Anwesenheit seiner Erzieherin. Wie das von den Kindern im Kinderheim verlangt wird, redete der Junge den Heimleiter mit Herr Rektor an und fragte ihn, wie es ihm gehe."

Die Worte dieser Erzieherin über den weiteren Verlauf des Geschehens gibt er so wieder:

  • "Herr K. sprach Markus wegen einer Glasscheibe an, die Markus an einer Lampe im Gruppenraum vorher beschädigt hatte und schlug ihm ins Gesicht. Danach gab er Markus die Hand, bedankte sich ironisch dafür, daß Markus die Lampe kaputt gemacht habe, und schlug ihm nochmals ins Gesicht." 

  • "Zu vier weiteren Kindern", berichtete er, "liegen konkrete Angaben von ErzieherInnen, HeimbewohnerInnen und Psychologen vor, in denen von Herrn K. begangene Mißhandlungen an Kindern beschrieben werden. Die Art des Mißhandelns unterschied sich von Schlagen bis Treten; gemeinsam ist allen Vorfällen, daß Kinder, die oft schwere Gewalterfahrungen zu bewältigen haben, ein weiteres Mal von einer vertrauten Bezugsperson mißhandelt und traumatisiert wurden." 

Die - weitere - Karriere eines kindlichen Opfers dieses Heimleiters, das bereits vor seinem Aufenthalt im Kinderheim St. Kilian in verschiedenen Heimen und psychiatrischen Anstalten leben mußte, hat er in einem Protokoll festgehalten: 

  • "Es ist eine traurige Karriere, wenn ein Kind, das von Herrn K. geschlagen wurde, verhaltensmäßig im Kinderheim derart eskaliert, daß er nur noch in die nächste Kinder- und Jugendpsychiatrie abgeschoben werden konnte. Seitdem wanderte dieses Kind bis heute weiter durch die Psychiatrien und gilt als schwerst verhaltensauffällig. Für den Heimleiter eine notwendige Erziehungsmaßnahme, für das Kind eine verpaßte Lebenschance!" 


Beichtvater K. "zwang die Kinder", erinnert sich der Diplom-Psychologe, bei ihm höchstpersönlich die Beichte abzulegen. "Themenschwerpunkt dieser Beichte", die als Beichtgespräche abgehalten wurden, sei immer wieder "das Thema Homosexualität und Onanie" gewesen. 
R. R. fragt sich heute: 

  • "Ist es sinnvoll, daß Kinder im Kinderheim St. Kilian zu den verschiedensten Anlässen gezwungen wurden, erhebliche Anteile ihres privaten Geldes für kirchliche Kollekten zu spenden?" 

Daß - damals - "ein ehemaliger Heimzögling noch als Jugendlicher zu  Herrn K. in die Wohnung im Kinderheim zieht und mit diesem zusammen lebt", wundert ihn heute noch. Bemerkenswert ist, daß dieser Junge, so der Diplom-Psychologe, mit anderen Heimkindern in der Wohnung des Priesters Pornofilme angeschaut habe.

Der Priester erklärte hierzu später, der Kontakt zu dem Jungen sei moralisch einwandfrei gewesen:

  • "Ich habe mir in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen." 

Hilferuf an Weihbischof Wolfgang Kirchgässner 

Dem Weihbischof Wolfgang Kirchgässner vom Erzbischöflichen Ordinariat Freiburg, dem Träger der Einrichtung, schrieb der Diplom-Psychologe kurz vor seinem Ausscheiden aus der Einrichtung einen Brief - und erwähnte die "untragbare Situation hier im Haus": 
"In der Folge wurde mir selbst grundlegende psychologische Arbeit wie zum Beispiel Elternarbeit, Arbeit mit ErzieherInnen oder Kontakte mit zuständigen Jugendämtern nur noch möglich, wenn ich bereit war, mich massiven Angriffen der Geschäftsleitung auszusetzen. Daß mir dann sogar vorgeworfen wurde, ich sei bei den ErzieherInnen beliebt und zu aktiv als Diplom-Psychologe, mag vielleicht eher eine humurvolle Komponente haben. Das Arbeiten in Ihrem Kinderheim wurde mir mit diesen, aber auch mit vielen anderen Vorfällen so unerträglich gemacht, daß ich eine Arbeitsstelle verlassen muß, für die mich auch die Heimleitung trotz aller Anfeindungen für hochqualifiziert bezeichnet hat und mir ausdrücklich erklärte, daß die Qualität meiner Arbeit und meines Engagements außer jeglichem Zweifel sei." 
Zum Schluß dieses Schreibens drückte er seine Hoffnung aus, "daß mit diesem Brief das geschlossene Schweigen durchbrochen wird und die im Haus verbliebenen MitarbeiterInnen und Kinder bitter nötige Hilfe von ãaußenÒ erhalten, die ihnen wieder Mut und Würde zurückgibt".


Der Dipl.-Psychologe bekam vom Weihbischof, Wolfgang Kirchgässner, keine persönliche Antwort. In seinem Auftrag erwiderte ihm der Leiter der Abteilung Caritas und Soziales des Erzbischöflichen Ordinariats Freiburg, Domkapitular Dr. B. U., auf diesen Brief hin: 

  • Der Weihbischof "... hat uns Ihr Schreiben zuständigkeitshalber zur Beantwortung übergeben. Nach Rücksprache mit der Leitung des Kinderheims sehen wir keine Veranlassung, auf Ihre Ausführungen einzugehen und wünschen Ihnen für Ihre weitere berufliche Zukunft alles Gute". 

Daraufhin erwiderte R. R., sichtlich enttäuscht über die Reaktion, kurz:

  • "Ihr Schreiben ist mir zugegangen und befremdet mich insoweit, daß man fast der Meinung sein könnte, es bestätige inhaltlich die Aussage von Herrn K., der im Kinderheim gegenüber einem Erzieher die Aussagen mit folgendem Inhalt machte: 

  • ».. und ans Ordinariat können Sie so viel schreiben, wie Sie wollen. Glauben tun die eh nur mir. Bei der Kirche ist es nämlich so wie auch beim Staat: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.« Sollte dies also tatsächlich so sein, daß Sie im Konfliktfall blindlings den Heimleiter stützen, ohne den Nöten anderer Gehör zu schenken, dann müssen Sie in jedem Fall für die Mißstände im Kinderheim als mitverantwortlich bezeichnet werden." 


In einem später angefertigten Protokoll schreibt der Diplom-Psychologe R. R. folgendes: 

  • "Aus welchem Grund hält die Erzdiözese Herrn K. noch immer in der gesamten Verantwortung für das Kinderheim und setzt damit die Kinder unter Umständen weiteren Mißhandlungen aus, signalisiert aber den Kindern zumindest unmißverständlich, daß sie auch weiterhin dem ausgesetzt sind, der sie geschlagen hat?" 


In großer Sorge um die Kinder, aber auch der MitarbeiterInnen schaltete er die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) in diese Auseinandersetzung ein. In einem Schreiben an das Erzbischöfliche Ordinariat Freiburg forderte die ÖTV Domkapitular Dr. U. auf, bis zur Klärung der gegen den Priester gerichteten Vorwürfe diesen von seinen Dienstpflichten zu entbinden. 

In einem Erwiderungsschreiben räumte der Kirchenmann ein, daß K. "einigen Kindern des Heimes eine Ohrfeige gegeben hat".
Doch trotz der von Dr. U. erwähnten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Priester hielt das Erzbischöfliche Ordinariat unbeirrbar an dem Priester fest und sprach von einer "gezielten Kampagne" eines ehemaligen Mitarbeiters des Hauses:

  • "Unsererseits sehen wir keine unmittelbare Veranlassung, Herrn Rektor K. von seinen Dienstpflichten zu entbinden. In einer Gesamtbewertung der Ereignisse seit dem letzten Jahr haben wir den Eindruck gewinnen müssen, daß Herr K. auch das Opfer einer gezielten Kampagne ist, die von einem ehemaligen Mitarbeiter des Hauses ausgeht. Wir werden uns aber durch keinerlei Kampagnen unter Druck setzen lassen, sondern mit Bedacht auf die entstandene Situation reagieren. Sie dürfen davon ausgehen, daß unsere Entscheidungen von der Sorge um das Gesamtwohl der Einrichtung getragen sind."


Die ÖTV schaltete daraufhin das Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst in die Auseinandersetzung ein und führte in einem u. a. aus:

  • "Es geht darum, daß nach Informationen von verschiedenen Seiten von dem 68jährigen Rektor dieses Heims, Pfarrer K., Kinder immer wieder gezielt und in entwürdigender Weise geschlagen und getreten werden ... Auch in Walldürn sind die Schläge weithin bekannt."

In dem Schreiben drückte die ÖTV auch Unverständnis über die Reaktion des Erzbischöflichen Ordinariats aus:
"Die Haltung des Erzbischöflichen Ordinariats, hier nicht einzugreifen, ist uns auch deshalb unverständlich, weil Herr K. offensichtlich schon in früheren Zeiten durch Schläge von Kindern in seiner Eigenschaft als Lehrer im Jugenddorf Klinge aufgefallen sein soll. Ebenso sollen sich Kinder des Heims bereits an die Heimaufsichtsbehörde gewandt haben. Es werden zudem Vorwürfe erhoben, Kinder seien vom Rektor zu Spenden für kirchliche Projekte gezwungen worden." 
Das Ministerium forderte daraufhin das Erzbischöfliche Ordinariat Freiburg zu einer Stellungnahme auf. In einem Schreiben an das Ministerium unterstellte das Erzbischöfliche Ordinariat der ÖTV, dieses "in unrichtiger und unvollständiger Weise über Vorkommnisse im Erzbischöflichen Kinder- und Jugendheim St. Kilian in Walldürn und das Verhalten des Erzbischöflichen Ordinariates informiert" zu haben. "In einer Gesamtbewertung der Ereignisse sind wir deshalb zum damaligen Zeitpunkt (im Mai 1995) zum Entschluß gekommen, Herrn K. nicht zu suspendieren. Dieser hat aber inzwischen von sich aus um seine Beurlaubung gebeten, bis die Anschuldigungen der Körperverletzung in vier Fällen gerichtlich geklärt sind. Mit Schreiben vom 4. Oktober 1995 haben wir diesem Ersuchen entsprochen." 
Daß der Priester plötzlich durch die Intervention des Ministeriums - freiwillig oder unfreiwillig ? - um seine Beurlaubung vom Dienst gebeten hatte, ist anzunehmen: Beide Schreiben, das an das Ministerium und das an den Priester, tragen das gleiche Datum: 4. Oktober 1995. 
 

Erzbischöfliches Ordinariat hielte an dem Geistlichen fest

Erstaunlich ist, daß das Erzbischöfliche Ordinariat zu diesem Zeitpunkt (Oktober 1995) mindestens seit fünf Monaten von den schwerwiegenden Vorwürfen und den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen den Priester Kenntnis hatte und an dem Geistlichen als Heimleiter, Direktor und Beichtvater unbeirrbar festhielt. Beachtenswert ist aber auch, daß der Geistliche Rat kurz zuvor, im Jahre 1994, mit der Konradsplakette des Erzbischöflichen Ordinariats Freiburg ausgezeichnet worden ist. 
Das unbeirrbare Festhalten des Erzbischöflichen Ordinariats an E. K. als Heimleiter, Direktor und Beichtvater brachte letztendlich nichts: Mit einer Geldstrafe in Höhe von DM 7 500 wegen körperlicher Mißhandlung Schutzbefohlener in drei Fällen durch das Amtsgericht Buchen belegt, hat  dieser seinen endgültigen Rücktritt erklärt. 


Die Staatsanwaltschaft Mosbach und das Amtsgericht Buchen kamen zu dem Schluß, daß der Priester zumindest in drei Fällen den Rahmen einer Erziehungsmaßnahme "überzogen" habe. 
Und trotzdem erstaunt die Vorgehensweise der Mosbacher Staatsanwaltschaft: Im Rahmen des Strafermittlungsverfahrens gegen den Priester ging es u. a. auch um folgende weitere strafbare Handlungen: "drei Ohrfeigen zum Nachteil" des Kindes Norbert K. und "eine Ohrfeige und Fußtritte zum Nachteil" des Kindes Mario H. 

Diese dem "Beschuldigten zur Last gelegten Taten" sind, so die Staatsanwaltschaft Mosbach in ihrer - zeitgleich mit dem ergangenen Strafbefehl - vollzogenen Einstellungsverfügung vom 5. Oktober 1995, gemäß § 154 Abs. 1 StPO (Strafprozeßordnung) eingestellt worden. Eine völlige, der Strafprozeßordnung widersprechende (Fehl-)Entscheidung: § 154 Abs. 1 StPO setzt nämlich laut dem Kommentar zur Strafprozeßordnung von Kleinknecht/Meyer-Goßner* (*Fußnote: Kleinknecht/K. Meyer/L. Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung. Gerichtsverfassungsgesetz, Nebengesetze und ergänzende Bestimmungen. Beck`sche Kurzkommentare 6, 42. neu bearb. Aufl. München 1995) voraus, daß diese zur Einstellung kommenden Tatvorwürfe "nicht beträchlich ins Gewicht" fallen und die "materiell-rechtlichen Strafzwecke in ihrem Kern nicht tangiert und nicht wesentlich beeinträchtigt werden".

Immerhin handelt es sich hierbei um die Tatvorwürfe der Körperverletzung und der Mißhandlung von Schutzbefohlenen (§§ 223, 223 b StGB), die bei Verurteilung zu einer höheren Geldstrafe bzw. einer Gefängnisstrafe hätte führen können. Anders ausgedrückt: Warum hat die Staatsanwaltschaft Mosbach, die den Strafbefehl nur auf die von dem Priester "verteilten" Ohrfeigen stützte, die strafrechtlich relevanteren und viel schwerwiegenderen - von ihr aber eingestellten - Tatvorwürfe nicht mit zum Gegenstand eines Strafbefehls erklärt oder - sicherlich noch naheliegender - generell eine öffentliche Anklage, die sicherlich zu einer öffentlichen Hauptverhandlung geführt hätte, erhoben? Wollte - möglicherweise - die Staatsanwaltschaft Mosbach im Interesse des Priesters und der katholischen Kirche eine öffentliche Hauptverhandlung um jeden Preis vermeiden? 

Der zuständige Leitende Oberstaatsanwalt, Herr J., erklärt hierzu dem Autor mit Schreiben vom 25. Juli 1996, daß "das Kind K. bei seiner Anhörung angab, der Beschuldigte habe lediglich versucht, es zu ohrfeigen. Es habe aber weglaufen können ...".
Der Priester selbst habe eine Körperverletzung bestritten. 
Diese Darstellung steht im Widerspruch zu der von seiner Behörde vollzogenen Einstellungsverfügung vom 5. Oktober 1995. Dort ist von "drei Ohrfeigen" (Hervorhebung durch den Autor) die Rede. 

Im Falle des Kindes H., das als Zeuge erst gar nicht angehört worden ist, erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt, 

  • "mit einer Wahrscheinlichkeit (hätte) lediglich eine Körperverletzung zum Nachteil des Kindes H. in die öffentliche Klage einbezogen werden können". Wohl wissend, daß das Kind von dem Geistlichen - nach Angaben von Zeugen, die davon gehört hatten - nicht nur geohrfeigt, sondern auch getreten worden sein soll, fügt der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der sich die Frage stellen muß, warum man das Kind nicht anhörte, rein vorsorglich hinzu: "Daß dies zu einer erheblich höheren Gesamtstrafe geführt hätte, als sie in dem Strafbefehlsantrag niedergelegt ist, erscheint ausgeschlossen."

Dies ist eine kühne Behauptung, denn dem Ankläger ist hinreichend bekannt, daß das Gericht "Herr des Verfahrens" ist. 
"Im Hinblick auf diese Sachlage", verteidigt er die zuständige Kollegin, "halte ich die Entscheidung der Dezernentin, zugunsten einer schnellen Erhebung der öffentlichen Klage auf eine weitere Aufklärung zu verzichten, für vertretbar."

Die Fürsorgepflicht für den Priester scheint trotz der Geldstrafe beim Erzbischöflichen Ordinariat ungebrochen fortzubestehen: Der Geistliche, der nach Rechtskraft des Strafbefehls auch weiterhin in dem Kinderheim wohnt, wurde mit der seelsorgerischen Betreuung des Konvents der Mallersdorfer Schwestern, die zahlreiche leitende Positionen auf den Wohngruppen bis hin zur stellvertretenden Heimleiterin innehaben, betraut. 
Domkapitular Dr. U. stellt zu dem Verbleib des Priesters ausdrücklich fest:

  • "Im Entscheidungsprozeß aber werden wir nicht unter Druck entscheiden, auch nicht, wer, wo und wie lange wohnt." 


Und in aller Deutlichkeit stellt er unmißverständlich klar, daß "der Direktor K. (es) nicht verdient hat, hier wie ein Hund davongejagt zu werden." 
Ungebrochen scheint aber auch die für den Priester vorhandene kollegiale Solidarität eines im Kinderheim tätigen Mitarbeiters, von Beruf: Diplom-Psychologe, zu sein. Dieser Herr H. B. erklärte in einen an den Diplom-Psychologen R. R. gerichteten Schreiben: 

  • "Ich möchte Ihnen sagen, daß mich Ihre Handlungsweise angewidert hat und daß Sie für mich Ihre Reputation verloren haben ... Sie wissen genau, daß Herr K. nicht der mit Vorliebe prügelnde Heimleiter ist, als der er in der …ffentlichkeit hingestellt wurde." 

Der Priester und Heimleiter selbst, dem die …TV auch vorwarf, schon seit Ende der sechziger Jahre Kinder und Jugendliche immer wieder "massiv getreten und geschlagen" sowie Mitarbeiter "entwürdigend" behandelt zu haben (das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg bestritt die von der ÖTV in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, sie habe Kenntnis von solchen Vorfällen und sei untätig geblieben), rechtfertigte die körperliche Mißhandlung von Kindern, soweit er sie gegenüber der Staatsanwaltschaft einräumte, "als pädagogische letzte Maßnahme". Der Geistliche kennt offenbar keine wie auch immer geartete Reue: Nicht als Täter, sondern als Opfer sieht er sich: "als Opfer einer Machenschaft, als Opfer einer Kampagne, die bis in die Privatsphäre geht". Noch schlimmer: "Jetzt werde ich als massiver Schlägertyp dargestellt." 
 

Schwester D. wurde aufgefordert, Züchtigungen zu unterlassen

Nach einer mir vorliegenden eidesstattliche Versicherung soll selbst die Schwester Oberin in einem Fall im Unterricht die Hand gegen ein Kind erhoben haben: Vor allen Kindern habe sie einen Jungen geohrfeigt. 
Ende Oktober 1996 leitete die Staatsanwaltschaft Mosbach gegen die Oberin des Schwesterkonvents und stellvertretende Heimleiterin Schwester D. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mißhandlung Schutzbefohlener ein. Im Mai 1997 wurde das Verfahren nach Zahlung einer Geldauflage von DM 300 eingestellt. Schwester D. habe, so die Staatsanwaltschaft in ihrer Einstellungsverfügung, ein Kind geohrfeigt, "die eine Gesichtshälfte war danach gerötet"; einem anderen Kind habe sie "ca. 3-4 Sekunden an den Ohren gezogen". Ein anderes Kind, so ist es der Einstellungsverfügung zu entnehmen, gab an, "ab und zu von der Beschuldigten an den Ohren gezogen worden zu sein, wie oft dies geschehen sei, wisse er nicht mehr; er habe dies jedoch nicht als schlimm empfunden. Bezüglich dieser weiteren Vorfälle war eine für eine Anklageerhebung ausreichend konkretisierbare Tat nicht nachweisbar, da W. sich weder an Ort und Zeit noch an genauere Einzelheiten erinnern kann". Die Identität eines anderen Kindes, dem Schwester D. "einmal an den Haaren gezogen haben soll", konnte nicht ermittelt werden. 
Das Sozialministerium Baden-Württemberg teilte dem Autor in dieser Sache durch Schreiben vom 19. August 1997 mit: Schwester D. sei zu den Vorwürfen gehört worden. "Hierbei wurde sie aufgefordert, körperliche Züchtigungen in Zukunft zu unterlassen." Schwester D. "sagte zu, dies künftig zu beachten". Nicht nachvollziehbar ist, daß alleine aufgrund dieser Zusicherung das Sozialministerium erklärte: Schwester D. kann "nach unserer Auffassung in ihren Funktionen belassen werden".


Der Autor, der sehr intensiv recherchierte, hat absichtlich so ausführlich von den differenzierten Vorgängen um diese Anklage berichtet, um zu zeigen, wie schwer eine Aufklärung von derartigen Geschehnissen gemacht wird. Es geht ihm vor allem auch um die institutionalisierten Machtstrukturen, die bei allen Beteiligten große Ängste hervorrufen können; aus diesem Grund werden einzelne Personen nur mit den Anfangsbuchstaben ihres Namens bezeichnet. Doch nur wenn Sachverhalte der beschriebenen Art offen dargelegt werden, können Mißstände überhaupt erst durchschaubar und erkannt werden.

Die hier beschriebenen unmenschlichen Zustände legen Zeugnis dafür ab, daß die "Schwarze Pädagogik" immer noch Teile unseres Erziehungssystems beherrscht und nicht der Vergangenheit angehört. Sie wird eben oft noch unverhohlen und bewußt gegen Kinder und Jugendliche eingesetzt. Hierbei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die "Täter" und "Täterinnen" aus dem konfessionellen, privaten oder staatlichen Heimbereich oder aus dem familiären Umfeld kommen: Opfer sind auch weiterhin junge Menschen, die der psychischen und physischen Gewalt, Erniedrigung, Demütigung und den hiermit verbundenen Schmerzen, Trauer, Einsamkeit und traumatischen Erlebnissen der "Schwarzen Pädagogik" hilflos und wehrlos ausgesetzt sind. 
 

  • "Das (...) zum Ausdruck kommende Anliegen, den Schutz von Kindern vor Mißhandlung und/oder sexuellem Mißbrauch zu verbessern, wird von mir rückhaltlos geteilt... Entgegen Ihrer rechtspolitischen Ansicht sehe ich jedoch keinen Handlungsbedarf durch Änderung der §§ 258, 13 oder 138 StGB für verantwortliche Mitarbeiter in Heimen eine strafbewehrte Anzeigepflicht für Körpermißhandlungen und/oder sexuellen Mißbrauch an in diesen Heimen untergebrachten Kindern zu schaffen..." 


Peter Caesar
Landesjustizminister von Rheinl.-Pfalz 
 

3 Die Nichtanzeige eines Kindesmißbrauchs erfüllt keinen Straftatbestand - oder: Kartell des Schweigens 
 

Wie sieht die strafrechtliche Bewertung aus, wenn Heimträger, Heimleitung und Geschäftsführung über ausreichende Kenntnisse hinsichtlich schwerer Mißhandlungen - einschließlich sexueller Mißbrauch - an Kinder und Jugendlichen verfügen und die Strafverfolgungsbehörden nicht durch entsprechende Anzeigen einschalten? Anders gefragt: Liegt ein strafbewehrtes Verhalten der Verantwortlichen vor, wenn sie, wie insbesondere die Fälle St. Josephshaus und St. Josef-Stift zeigen, keine Anzeige erstatten und somit eine mögliche weitere Gefährdung der ihnen anvertrauten Schutzbefohlenen billigend in Kauf nehmen? Und: Gerät nicht zwangsläufig die gesamte Heimerziehung in Verruf, wenn weder die Strafverfolgungsbehörden, noch die …ffentlichkeit, noch das zuständige Landesjugendamt - Heimaufsicht - im Rahmen der vorgeschriebenen Meldepflicht durch die Verantwortlichen, aber auch durch »untergeordnete« MitarbeiterInnen Aufklärung erfahren? 

Der Autor hat sich sehr intensiv mit dieser Rechtsfrage beschäftigt: Die Nichtanzeige von Gewalttaten - konkret: Körpermißhandlung, seelische Mißhandlung und sexueller Mißbrauch - an Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung erfüllt keinen Straftatbestand!

Im Rahmen massiver Auseinandersetzungen, insbesondere zwischen dem Autor und dem Bistum Mainz, hatten die Verantwortlichen einräumen müssen, über ausreichende Kenntnisse zu verfügen, wonach ein Teil der ihnen anvertrauten Schutzbefohlenen schlimmste Gewalt ausgesetzt gewesen sein sollen. Noch schlimmer: Durch ein "Kartell des Schweigens" hatten das Bistum Mainz und das St. Josef-Stift über die (mutmaßlichen) Täter und Täterinnen einen Mantel der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe ausgebreitet; sie wurden "geschützt" und zunächst weiterbeschäftigt mit der Folge, daß die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen - möglicherweise - weiterhin der Gefahr wehr- und hilflos ausgesetzt gewesen sein könnten, Opfer von Straftaten zu werden. Von einigen hat man sich erst dann - in der Regel - durch Auflösungsverträge getrennt, nachdem mutige MitarbeiterInnen (anonym) an die Presse herangetreten sind. Die anderen hat man innerhalb der Katholischen Kirche weiterbeschäftigt. 

Es ist ein sozial- und rechtspolitischer Skandal, wenn sich die verantwortlichen Heimträger - wie hier das Bistum Mainz und die St. Josef-Stiftung Eisingen - nach dem öffentlichen Bekanntwerden der von absoluter Gewalt geprägten "Schwarzen Pädagogik", die in ihren Einrichtungen herrschte bzw. geherrscht haben soll, auf diese Rechtslücke, den "rechtsfreien Raum", die Regelungslücke zum Straftatbestand der Strafvereitelung bzw. der Nichtanzeige von Straftaten verschanzen (können), ohne strafrechtliche Verfolgung befürchten zu müssen. 

So verfaßte der frühere Justitiar der St. Josef-Stiftung, N. S., eine Stellungnahme anläßlich eines Pressegesprächs, das am 8. Oktober 1996 im St. Josef-Stift Eisingen stattfand. Anlaß hierfür war das Buch des Autors:Gestohlene Kindheit, in dem dieser bereits den Fall St. Josef-Stift beschrieben hatte. Der Justitiar a.D. reagierte u. a. auf dem Vorwurf des Autors, daß die Verantwortlichen von schwesten Mißhandlungen Kenntnis hatten und zunächst untätig blieben:

  • "Es ist abwegig, in diesem Zusammenhang den Vorwurf der Strafvereitelung zu erheben. Die Geschäftsleitung hat - unter rechtlichen Gesichtspunkten - richtig und mit der gebotene Eile gehandelt. Eine Weitergabe detaillierter Informationen an Außenstehende konnte mit Rücksicht auf den Schutz der Behinderten und auf die der Geschäftsleitung und den Mitarbeitern der St. Josef-Stiftung obliegenden Schweigepflicht ohnehin nicht in Betracht kommen."


Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Würzburg (Az.: 225 Js 19394/96) wegen Verdacht der Strafvereitelung gegen mehrere Verantwortlichen der St. Josef-Stiftung in Eisingen, die von Mißhandlungen Kenntnis hatten und diese nicht gegenüber der Strafverfolgungsbehörde zur Anzeige brachte, ist eingestellt worden.
In der Einstellungsverfügung vom 04. August 1997 steht wortwörtlich geschrieben: 

  • "Den Beschuldigten liegt Strafvereitelung zur Last, begangen dadurch, daß sie in ihrer jeweiligen Funktion in der Leitungsebene des St. Josef-Stiftes in Eisingen von Mißhandlungen bzw. Körperverletzungen z. N. der dort untergebrachten Betreuten bewußt und trotz dieses Wissens die Vorgänge nicht unterbunden bzw. die entsprechenden Mitarbeiter nicht bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden angezeigt hätten... 

Der Tatbestand der Strafvereitelung, § 258 StGB, ist nicht erfüllt."

In dieser Einstellungsverfügung wird unter Hinweis auf eine dem Autor vorliegende BGH-Entscheidung zum § 258 StGB - Strafgesetzbuch - (BGH, Urteil vom 30.04.1997 - 2 StR 670/96) weiter vorgetragen:

"Geschütztes Rechtsgut des § 258 StGB ist die staatliche Rechtspflege. Eine Garantenpflicht, d.h., die Verpflichtung, für dieses Rechtsgut einzustehen, trifft nur solche Personen, denen das Recht die Aufgabe zuweist, Belange der Strafrechtspflege wahrzunehmen. Das bedeutete für das Delikt der Strafverfolgungsvereitelung, daß für die Abwendung des Vereitelungserfolges nur einstehen muß, wer von Rechts wegen dazu berufen ist, an der Strafverfolgung mitzuwirken, also in irgendeiner Weise dafür zu sorgen oder dazu beizutragen hat, daß Straftäter nach Maßgabe des geltenden Rechts ihrer Bestrafung oder sonstigen strafrechtlichen Maßnahmen zugeführt werden. Als in der Leistungsebene eines Behindertenheimes Tätige gehören die Beschuldigten nicht zum Kreis derjenigen, denen die Strafverfolgung als amtliche Aufgabe anvertraut ist, wie dies etwa bei Strafrichtern, Staatsanwälten oder Polizeibeamten der Fall ist. Damit begründet allein die Stellung in der Hierarchie des St. Josef-Stiftes in Eisingen keine Garantenstellung der Beschuldigten. Eine solche könnte sich allenfalls aus sondergesetzlichen Vorschriften ergeben, wie dies etwa in § 40 WStG (Wehrstrafgesetz) geschehen ist. Eine vergleichbare Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung, Straftaten von unterstellten Mitarbeitern anzuzeigen, existiert für den Bereich von Pflegeheimen nicht."

Das Bistum Mainz hat über seinen Rechtsdirektor und Justitiar, Herr H. B., der im Hinblick darauf, daß das Bistum seit spätestens Anfang 1992 über ausreichende Kenntnisse bezüglich der Mißhandlungsvorwürfe im St. Josephshaus verfügte und nicht die Strafvollzugsbehörde einschaltete, in den Mainzer Bistumsnachrichten vom 27. November 1996 erklärt:

"Der Vorwurf einer Strafvereitelung ist nicht begründet: Das Unterlassen einer Strafanzeige ist nur dann strafbar, wenn eine Rechtspflicht zur Anzeige besteht. Das ist nicht der Fall gewesen, da die Entscheidung im Ermessen des Verwaltungsrates lag und ein Ermessensmißbrauch nicht vorliegt."
 

Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen gegen Bischof Lehmann abgelehnt

Die Rechtsauffassung des Bistums Mainz wurde von der Staatsanwaltschaft Darmstadt (10 Js 47586/96) vollinhaltlich bestätigt: In einem Schreiben der Strafverfolgungsbehörde vom 23. Februar 1997, in dem ein "Antrag auf Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen gegen den Bischof des Katholischen Bistums Mainz, Dr. Karl Lehmann" eines früheren Mitarbeiters der Einrichtung nicht entsprochen worden ist, ist eine Art "Ehrenerklärung" für den Kleriker enthalten:

"Nur im Blick darauf, daß der Beschuldigte sich unter anderem auch gegen den Verdacht nach § 258 a StGB (Strafvereitelung im Amt durch Nichtanzeige von Straftaten) ausdrücklich verwahrt hat, sei abschließend bemerkt, daß der Beschuldigte selbstverständlich nicht zu dem in dieser Vorschrift angesprochenen Personenkreis gehört; ob und gegebenenfalls wann er nach Kenntnis vom Verdacht auf Straftaten seitens des Heimpersonals Strafanzeige hätte erstatten sollen oder wollen, lag in seinem hier nicht zu überprüfenden Ermessen."


Das Verhalten der St. Josef-Stiftung und des Bistum Mainz ist weder aus christlicher noch aus strafrechtlicher Sicht akzeptabel. Hier geht es um (junge) Menschen, die sich in ihrer Obhut befinden. Sie haben das Recht auf Achtung und Unversehrtheit ihrer Menschenwürde. Sie haben somit auch das Recht auf Schutz vor jeglicher Gewalt, auch in einem konfessionell orientierten Heim. Diese im Grundgesetz und in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und in der Konvention über die Rechte des Kindes verbrieften Rechte werden mit Füßen getreten, wenn Heimträger und (verantwortliche) Mitarbeiter in Heimen von Körpermißhandlungen und/oder sexuellen Mißbrauch an Kindern Kenntnis haben und, weil sie sich bei Nichtanzeige nicht strafbar machen, hierüber schweigen (dürfen). Und: Die Verantwortlichen bleiben oft untätig und schützen nicht die Kinder, sondern die mutmaßlichen Täter und Täterinnen.
Dieser rechtspolitischer Skandal muß im Interesse der Heimkinder schnellstmöglich beseitigt werden. Der Autor denkt hier ausdrücklich an die noch nicht vollzogene sechste Strafrechtsreform.

Der Autor hat den Bundesjustizminister, Schmidt-Jortzig, den rheinland-pfälzischen Landesjustizminister Peter Caesar und den bayerischen Staatsminister der Justiz, Hermann Leeb, mit den Fällen St. Josephshaus und St. Josef-Stift konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten; insbesondere zu seiner Forderung, diesen rechtspolitischen Skandal durch eine entsprechende Modifikation der StGB §§ 258 Abs. 1, 13 Abs. 1 oder 138 Abs. 1 StGB zu beheben.

Der Bundesminister der Justiz ließ dem Autor mit Schreiben vom 18. September 1997 u.a. antworten: 

"Die von Ihnen aufgeworfenen Rechtsfragen werden auch im Bundesministerium der Justiz als rechtspolitisch bedeutsam bewertet. Im einzelnen darf ich hierzu folgendes bemerken:
Das von Ihnen angesprochene Urteil des Bundesgerichtshofes vom 30. April 1997 zur Frage einer möglichen Strafbarkeit von Strafvollzugsbediensteten nach § 258 Abs 1, § 13 StGB (Strafvereitelung durch Unterlassen) wegen der Nichtanzeige von im Strafvollzug begangenen Straftaten ist hier bereits einer ersten Prüfung unter dem Gesichtspunkt unterzogen worden, ob gesetzgeberische Maßnahmen veranlaßt sind. Derzeit wird die Problematik mit den Landesjustizverwaltungen erörtert. Eine in diesem Zusammenhang diskutierte Gesetzesänderung wäre die Statuierung einer speziellen Anzeigepflicht im Strafvollzugsgesetz.

Von der Anwendbarkeit der §§ 258m 13 StGB auf Strafvollzugsbedienstete zu trennen ist die allgemeinere Problematik der Normierung von präventiv ausgerichteten Meldepflichten im Hinblick auf Fälle sexuellen Kindesmißbrauchs. Auch diese Frage ist derzeit Gegenstand intensiver Beratungen zwischen Bund und Ländern. Gründlicher Erörterung bedürfen dabei insbesondere die Fragen, ob strafbewehrte Anzeigepflichten unabdingbar geboten sind. Bejahendenfalls wäre die schwierige Frage zu entscheiden, ob - wie von Ihnen vorgeschlagen - eine generelle strafbewehrte Anzeigepflicht in Gestalt einer Erweiterung der Ausnahmebestimmung in § 138 Abs. 1 StGB in Betracht zu ziehen wäre, oder ob nicht spezielle Anzeigepflichten für bestimmte betroffene Berufsgruppen genügten. Insoweit werden im Moment beispielsweise im Hinblick auf den Bereich der Jugendhilfe Änderungen im Sozialgesetzbuch VIII geprüft. Sollte sich die Statuierung von Anzeigepflichten dagegen am Ende nicht als sinnvoll erweisen, wäre für bestimmte Berufsgruppen, die gemäß § 203 StGB strafbewehrten Schweigepflichten unterliegen, an die spezialgesetzliche Regelung (auch hier käme etwa das Sozialgesetzbuch VIII in Betracht) von Anzeigebefugnissen zu denken. Ich möchte Sie um Verständnis dafür bitten, daß die abschließende Klärung der angesprochenen Fragen noch eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird und darf Ihnen gleichzeitig versichern, daß Ihr Schreiben bei den noch anzustellenden †berlegungen Berücksichtigung finden wird." 

Der Landesjustizminister Peter Caesar antwortete mit Schreiben vom 17. September 1997 dem Autor höchstpersönlich. Der Minister sieht "keinen Handlungsbedarf", das Strafgesetzbuch so zu ändern, daß die hier in Rede stehende Nichtanzeige von Straftaten in Zukunft unter Strafe gestellt wird: 
 

  • "Zunächst möchte ich mich für Ihr Schreiben herzlich bedanken. Das darin zum Ausdruck kommende Anliegen, den Schutz von Kindern vor Mißhandlung und/oder sexuellem Mißbrauch zu verbessern, wird von mir rückhaltlos geteilt... Entgegen Ihrer rechtspolitischen Ansicht sehe ich jedoch keinen Handlungsbedarf durch Änderung der §§ 258, 13 oder 138 StGB für verantwortliche Mitarbeiter in Heimen eine strafbewehrte Anzeigepflicht für Körpermißhandlungen und/oder sexuellen Mißbrauch an in diesen Heimen untergebrachten Kindern zu schaffen... (Ein) Dienstvorgesetzter ist, soweit er nicht unter den Personenkreis des § 258 a StGB fällt, nur dann verpflichtet, Straftaten seines Untergebenen anzuzeigen, wenn ihm dies nach pflichtgemäßem Ermessen geboten erscheint. Ein Verstoß gegen diese Dienstpflicht kann als Dienstvergehen, jedoch nicht als Straftat geahndet werden."


Die weitere Begründung seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer "Ausdehnung der Anzeigepflicht" ist, wie insbesondere die Fälle Bistum Mainz und St. Josef-Stiftung dokumentieren, nicht nachvollziehbar. 

  • "Eine weitere Ausdehnung der Anzeigepflicht erachte ich auch nicht als sinnvoll. Zum einen kann es im Einzelfall gerade auch unter Berücksichtigung der Interessen des Opfers eine schwerwiegende Entscheidung sein, ob Strafanzeige erstattet werden muß oder nicht. Zum anderen soll vermieden werden, daß nicht jedes strafbare oder nicht strafwürdige Verhalten zur Erfüllung einer vermeintlichen Anzeigepflicht den Ermittlungsbehörden zur Kenntnis gebracht wird. In letzter Konsequenz könnte dies auch dazu führen, daß sich ein Denunziantentum ausbreitet, das weder im Interesse der Betroffenen noch der Strafverfolgungsbehörden liegt und den Rechtsfrieden nachhaltig stören würde."


Der bayerische Staatsminister der Justiz, Hermann Leeb, ließ dem Autor - ausgehend von dem Fall St. Josef-Stift Eisingen - mit Schreiben vom 19. September 1997 u.a. lapidar antworten: 
 

  • "Die Frage, ob Heimträger und (verantwortliche) Mitarbeiter in Heimen, die Kenntnis von an Kindern begangenen Straftaten haben, schweigen dürfen, geht freilich über das Strafrecht hinaus. Auch die Frage, ob die Beschuldigten weiterbeschäftigt werden können, ist keine primär strafrechtliche Frage. Ich habe Ihr Schreiben deshalb dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit zugeleitet."

  • "Isolierung, Hospitalismus und Autoritarismus sind nur scheinbar ständige Probleme der Heimerziehung. Aber ihre Gegenpole: Indifferentismus, Überforderung durch zu frühe Freiheit und Autoritätsschwund sind ebenso gefährlich."


Kurt Frör 
Die öffentliche Erziehung als Beitrag zur †berwindung der Erziehungsnot, in: AFET-Mitgliederrundbrief 1964, S. 34 f., hier: S. 35
 

4 Was dieses Buch will - oder: Die Rechte des Kindes
 
 

  • Dieses Buch ist keine Anklage gegen die Heimerziehung: Die "Anklage" richtet sich aber gegen die namentlich bekannten Heime und die "namenlosen" Heime, in denen junge Menschen Mißhandlungen aller Art hilflos und wehrlos ausgesetzt sind - und wo leider immer noch die "Schwarze Pädagogik" mit all ihren schlimmen Folgewirkungen für die Betroffenen um sich schlägt. 

  • Dieses Buch ist auch eine "Anklage" gegen die Heimträger und die Verantwortlichen in Heimen, die zum einen MitarbeiterInnen, die nicht schweigen und gegen die Mißachtung der Menschenwürde von jungen Menschen protestieren und Menschenrechtsverletzungen an die Öffentlichkeit bringen (wollen), unter Hinweis auf ihre sogenannte Schweigepflicht massiv mit arbeitsrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen bedrohen; und die zum anderen Eltern, die sich gegen die Mißhandlung ihrer Kinder zur Wehr setzen (wollen), mit der massiven Bedrohung entgegensetzen, ihre Söhne und Töchter zu entlassen - und die Eltern somit in der Regel erfolgreich zum Schweigen bringen.

  • Dieses Buch dient dazu, die Öffentlichkeit, aber auch die MitarbeiterInnen konfessioneller, privater und staatlicher Heime und alle anderen Institutionen, die Verantwortung für die (Heim-)Erziehung tragen, wachzurütteln. 

  • Dieses Buch soll allen Mut machen, sich gegen das schreiende Unrecht und gegen die Rechtlosigkeit junger Menschen zur Wehr zu setzen. - Und die Menschenrechtsverletzungen nicht durch Schweigen und Wegschauen hinzunehmen. 

  • Dieses Buch soll helfen, das Schweigen - der leider immer noch überwiegenden Mehrheit - der Eltern, die von der Mißhandlung ihrer Kinder erfahren, zu brechen; die aus Angst stillhalten und dadurch das weitere Mißhandeln ihrer Söhne und Töchter billigend in Kauf nehmen, weil sie entweder die "Schwarze Pädagogik" dulden bzw. für sich akzeptieren oder weil sie durch die massive Bedrohung der Verantwortlichen (die wiederum um die Tatsache wissen, daß es in der Regel für die betroffenen Eltern schwer ist, einen neuen Heimplatz in der Nähe des Elternhauses zu finden), ihre Kinder aus den Heimen zu entfernen, schweigen. 

  • Dieses Buch ist aber auch für alle Erwachsenen geschrieben, die mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben und deren Kindheit, Menschenwürde, Wünsche und Bedürfnisse, deren Gefühle und Autonomie respektieren. Es soll sie bestärken, diesen Weg weiterzugehen. Hierbei macht der Autor ausdrücklich überhaupt keinen Unterschied, ob diese Erwachsenen in Familien oder in konfessionellen, privaten oder staatlichen Heimen mit jungen Menschen in Berührung kommen. Es gibt selbstverständlich auch konfessionell orientierte Erzieher, Erzieherinnen, Nonnen und Patres, die die vom Grundgesetz garantierte Menschenwürde junger Menschen respektieren und diese nicht mit Füßen treten. 


Die Heimerziehung, die sich seit den siebziger Jahren zum Teil Stück für Stück positiv verändert hat (hierzu gehört auch das Entstehen von Kleinstheimen, Außenwohngruppen, Jugendwohngemeinschaften), hat auch weiterhin eine Existenzberechtigung, solange es keine durchgreifenden Alternativen gibt: Die Heime sind für - im Elternhaus - mißhandelte Kinder und Jugendliche die Ultima ratio. Und solange junge Menschen mit der Heimerziehung in Berührung kommen, haben sie - und das gilt selbstverständlich auch für Kinder in anderen außerfamiliären Einrichtungen und für Kinder in Familien - das unwiderrufliche Menschenrecht auf Würde und Unversehrtheit. 

Auch für diese Kinder und Jugendliche gilt die 1989 von den Vereinten Nationen verabschiedete Konvention über die Rechte des Kindes. Jeder Staat, der diese Konvention ratifiziert, verpflichtet sich, die dort festgelegten Rechte zu gewähren. Hier ein Auszug:
Kinder haben Rechte: Das Recht auf Gleichheit, unabhängig von Rasse, Religion, Herkunft und Geschlecht; das Recht auf eine gesunde, geistige und körperliche Entwicklung; das Recht auf besondere Betreuung im Falle körperlicher oder geistiger Behinderung; das Recht auf Liebe, Verständnis und Geborgenheit; das Recht auf Schutz vor Grausamkeit, Vernachlässigung und Ausbeutung; das Recht auf Schutz vor allen Formen der Diskriminierung und auf eine Erziehung im Geiste der weltweiten Brüderlichkeit, des Friedens und der Toleranz. 

Es ist Alice Miller vollinhaltlich zuzustimmen, die in ihrem vielbeachteten Buch: Am Anfang war Erziehung schreibt:
 

  • "Solange das Kind als Container angesehen wird, in den man unbeschadet alle »Affektabfälle« hineinwerfen kann, wird sich an der Praxis der »Schwarzen Pädagogik« nicht viel ändern. Zugleich werden wir uns über die rapide Zunahme der Psychosen, Neurosen und der Drogensucht bei Jugendlichen wundern, über die sexuellen Perversionen und Gewalttätigkeiten empören und entrüsten, Massenmorde als einen unumgänglichen Teil unseres Lebens anzusehen."


    Alexander Markus Homes*

* Über Reaktionen, Informationen, Berichte von betroffenen (ehemaligen) Heimkindern und (ehemaligen) Erziehern würde der Autor sich freuen (Anschrift: Alexander Markus Homes, c/o Gerhard Hanenkamp Schulstr. 80, 26903 Surwold

[ Editierte und erweiterte Hauptüberschriften vom hiesigen Webseitenbetreiber hinzugefügt ]

[ Erstveröffentlichung auf dieser Webseite: 26. November 2004 ]



Subindex Nr. 14

Einleitung zum Buch GESTOHLENE KINDHEIT bei Alexander Markus Homes – Berlin : Ulstein, 1998 – ISBN 3-548-35766-0 – Durch psychische, physische und verbale Gewalt werden Kinder in Heimen ihrer Kindheit beraubt. Heimkinder durchleiden Unglaubliches. Was totgeschwiegen wird in Deutschland! Instititionelle Kindesmisshandlung und Institioneller Kindesmissbrauch.

"Heimerziehung: Lebenshilfe oder Beugehaft? Gewalt und Lust im Namen Gottes"
bei Alexander Markus Homes
344 Seiten, ISBN 3-8334-4780-X, Preis: 22,- Euro, Books on Demand, Norderstedt, 2006.


Rezensionen einer Nachkriegsbiographie – MUNDTOT bei Aachener Jürgen Schubert. Jürgen Schubert ist einer der vielen damaligen ehemaligen Heimkinder die als Kinder und Jugendliche in psychiatrischen Anstalten und anderen geschlossenen Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland ihrer Kindheit und Jugendzeit beraubt wurden und ihr Leben im erwachsenen Alter dadurch weitgehend ruiniert sahen.

Misshandelte Zukunft. – Eine Jugend in der Heimerziehung. – Erscheinungsdatum: Februar 2006 (Neuauflage) - Erschienen bei: pg-belletristik – ISBN 3-927223-57-3Harry Graeber beschreibt in seiner Autobiographie seine Erziehung in Kinder- und Jugendheimen. Härte und Lieblosigkeit der Erzieher Dressur und Fremdbestimmung lassen ein nur schwer überwindbares Trauma und Angst vor einem späteren eigenverantwortlichen Leben entstehen. Rezension.

Harry GraeberMisshandelte Zukunft. – Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland – Erscheinungsdatum: Februar 2006 (Neuauflage) - Erschienen bei: pg-belletristik – ISBN 3-927223-57-3 – Presse Echo.

Misshandelte Zukunft. – [ Heimerziehung und ihre Folgen. – Schwarze Paedagogik. – Tatsachenbericht ] – Harry Graeber. – Erscheinungsdatum: Februar 2006 (Neuauflage) - Erschienen bei: pg-belletristik – ISBN 3-927223-57-3 – Biographie. – Rezesion.



Bitte nicht vergessen auch "Ehemalige Heimkinder" @ http://heimkinderopfer.blogspot.com zu besuchen.


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