Der Betreiber dieser Webseite ist der hoch-engagierte Martin Mitchell
in Australien (ein ehemaliges “Heimkind” in kirchlichen Heimen im
damaligen West-Deutschland)
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NZZ
am Sonntag – INTERNATIONAL – Sonntag, 16.06.2002, Nr. 14
– Kindesmissbrauch
Die
katholische Kirche in der Defensive
Die
Konference der US-Bischöfe in Dallas will sexuellen Missbrauch
unterbinden
Die katholische Kirche der
USA sieht sich als Folge sexueller Missbräuche immer häufiger
mit der Forderung konfrontiert, Laien an den kirchlichen
Entscheidungsprozessen mitwirken zu lassen und ihnen Einblick in die
Bücher zu gewähren.
Gerd
Brüggemann, Washington
Im Ballsaal eines Hotels in
der texanischen Stadt Dallas haben sich Ende der Woche die 300
Mitglieder der Konferenz der Kaltholischen Bischöfe der
Vereinigten Staaten getroffen. Anlass der Zusammenkunft ist ein
Skandal, der dem Ansehen der Kirche schweren Schaden zufügt und
das Vertrauen der mehr als 60 Millionen amerikanischen Katholiken
[und] die kirchliche Hierachie erschüttert hat: der sexuelle
Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester. Jahrelang
hatten die Kirchenoberen solche Vorwürfe als Fehlverhalten
Einzelner heruntergespielt. Aber in den letzten Monaten hatte eine
Welle von Enthüllungen dieser Einstellung den Boden
entzogen.
Bevor die Bischöfe sich jedoch der Tagesordnung
zuwandten, die nur einen einzigen Punkt umfasste, die Formulierung
einer Politik über den Umgang mit Priestern, die sexuelle
Misstaten begehen, wurden sie eindrucksvoll darüber
unterrichtet, was unter ihren Augen vorgeht, ohne immer zur Kenntnis
genommen zu werden. In einem vom Fernsehen übertragenen
Darbietung berichteten vier Opfer den Bischöfen im Ballsaal zum
Teil tränenreich über ihre Schicksale.
Halbherzige
Massnahmen
Die drei Männer und eine Frau hielten
sich nicht lange damit auf, die Einzelheiten der Akte vorzutragen,
die sie erleiden mussten. Sie schilderten viel mehr, welche
Auswirkungen diese Erlebnisse auf ihren weiteren Lebenslauf hatten,
und machten deutlich, wie Feindseligkeit und Vernachlässigung
der Kirche sie immer wieder zu Opfern gemacht habe. Ob der Lebensweg
dieser Menschen typisch ist oder möglicherweise anders verlaufen
wäre, wenn es den Missbrauch in ihrer Jugend nicht gegeben
hätte, ist eine Frage, die weder gestellt noch beantwortet
wurde. Vielen Bischöfen aber schienen die Dimension der Probleme
erst jetzt bewusst geworden zu sein.
Und um den Punkt noch zu
vertiefen, sagte Bischof Wilton Gregory, der Vorsitzende der
Konferenz: "Wir sind diejenigen, die durch Ignoranz, Mangel an
Aufmerksamkeit oder, Gott bewahre, mit unserem Wissen die Priester
nicht gehindert und sie sogar in andere Gemeinden geschickt haben, wo
sie ihr Tun fortsetzen konnten." Dennoch haben sich die Bischöfe
nach langen und kontroversen Diskussionen nicht zu einer
Null-Toleranz-Politik durchringen können, die jeden Priester aus
der Kirche weist, der sich schuldig gemacht hat. Stattdessen einigten
sie sich auf einen Kompromiss, nach dem solche Priester zwar aus dem
Amte entfernt, nicht aber auch automatisch ihren Priester-Status
verlieren.
Um der Kritik zu begegnen, dass dieser Politik
jeder Durchsetzungs-Mechanismus fehle, hat die Konferenz einen
Nationalen Aufsichtsrat geschaffen, der die Einhaltung der Normen
überwachen und mit Laien besetzt sein soll. An der
Abschluss-Pressekonferenz teilte Bischof Gregory mir, dass die ersten
drei Mitglieder des Rates, der insgesamt 15 bis 20 Personen umfassen
soll, schon berufen worden seien. Es handelt sich um Frank Keating,
den Gouverneur des Gliedstaates Oklahoma, den Waschington Anwalt
Robert Bennett, der als Verteidiger des früheren Präsidenten
Clinton in seinen Sexskandalen bekannt geworden war, sowie um Anne
Burke, die Richterin an einem Oberen Bundesgericht ist. Es spricht
jedoch nur wenig dafür, dass sich die von manchen Bischöfen
geäusserte Hoffnung erfüllt, der Skandal könne nun zu
einem Ende gebracht werden. Bischof Gregory teilt diese Hoffnung
nicht, wenn er feststellt, dass die Auswirkungen noch lange in der
Zukunft zu spüren sein werden. Was das für Auswirkungen
sein können, macht Professor Scott Appleby von der katholischen
Notre-Dame-Universität deutlich. "Alle Katholiken stimmen
in ihrem Urteil über die Ursachen des Skandals überein: Es
handelt sich um einen Treuebruch, der durch die Arroganz ermöglicht
wurde, die von unkontrollierter Macht ausgeht."
Laien
machen mobil
Der Professor spricht damit ein Thema an,
das unter amerikanischen Katholiken zunehmend diskutiert wird; der
Wunsch nach grösserer Laien-Mitwirkung an kirchlichen
Angelegenheiten. Sie glauben, dass nur auf diese Weise die kirchliche
Herachie aus ihrer selbst gewählten Isolation befreit werden
kann. Schon in der vergangenen Woche konnte die Kirche einen
entsprechenden Weckruf vernehmen. An der Jahrestagung einer
Dachorganisation von Stiftungen und anderen Geldspendern, die der
katholischen Kirche 200 Millionen Dollar jährlich überweisen,
wurde laut gefordert, die Kirche müsse ihre geheimen
Entscheidungsprozesse transparenter machen und auch ihre Bücher
öffnen.
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© 2002 Neue
Züricher Zeitung AG
Enthoben vom Internet @
http://www.kirchen.ch/pressespiegel/nzz/20020611602.pdf
[ Erstveröffentlichung
auf dieser Webseite: 7. September 2004 ]
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