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Schwere Schicksale im Bundestag
Schwelm, 16.11.2007, Sabine Nölke
Ennepetal. Auch der Bundestag beschäftigt sich mit dem Schicksal von Wolfgang Focke. ...
Wie gestern in der WR berichtet, erhebt der 61-Jährige schwere Vorwürfe gegen Heime, in denen er Kindheit und Jugend verbringen musste, darunter auch die Evangelische Stiftung Loher Nocken. Unter anderem sei er von dem damaligen Heimleiter sexuell genötigt worden. Zusammen mit anderen Leidensgenossen im Verein ehemaliger Heimkinder fordert er nun Entschädigung vom Staat.
Der Petitionsausschuss des Bundestags befasste sich erstmals im Dezember 2006 mit dem Schicksal ehemaliger Heimkinder. Mehrere Stunden hörten sich die Mitglieder des Petitionsausschusses hinter verschlossenen Türen die Lebensgeschichten der ehemaligen Heimkinder an, die in kirchlichen und staatlichen Fürsorgeanstalten Prügel, Zwangsarbeit und sexuellen Missbrauch erlitten.
"Ich kann hier nur sagen, der Worte sind genug gewechselt, lasst uns endlich Taten sehen!", so beendete Wofgang Focke seinen Vortrag vor dem Petitionsausschuss.
Zuvor berichtete Focke, der, wie er selbst sagt, "als ungeliebtes Besatzungskind" eines Engländers 1946 in Lage zur Welt kam, schon mit drei Jahren mit seinen Halbgeschwistern ins Paulinenheim in Detmold kam, wo er bis etwa sieben Jahre blieb.
Er sei 12 oder 13 Jahre alt gewesen, als er ins Heim Loher Nocken kam. Focke schildert: "Das erste, was ich im Heim feststellen musste, du warst ein Zögling ohne irgendwelche Rechte. Beschwerdemöglichkeit gab es überhaupt nicht, die wurde mit Prügel für uns beseitigt. Es war ganz klar für die Schwestern und Brüder der Diakonie: wer bei ihnen landete, war Schuld, der musste mit aller Härte erzogen werden, koste es, was es wolle. Heute weiß ich vom Landesjugendamt Münster, das damals zu schnell in die Heime gesteckt wurde, ohne vorher zu prüfen. Heute bestätigt mir die Leitung desselben Amtes: Wenn die Vormundschaft aberkannt wird, die Schuld nicht bei dem Zögling liegt, sondern bei den Eltern. Aber was half mir das damals, ich musste spüren, was es heißt, mit aller Härte erzogen zu werden."
Ausstellung über die Lebenssituation der Heimkinder
Mit der Petition will der Verein ehemaliger Heimkinder u.a. die Anerkennung betroffener ehemaliger Heimkinder als Opfer von Menschenrechtsverletzungen erreichen. Außerdem: die Regelung berechtigter Forderungen, die sich daraus ergeben; die Ächtung der menschenverachtenden Erziehungspraxis in Heimen während der Zeit von 1945 bis 1975; die Klärung der Frage fehlender Rentenanwartschaften bezüglich erzwungener unbezahlter Arbeit, für die keine Sozialversicherungsbeiträge geleistet wurde; die Finanzierung von Langzeittherapien, die wissenschaftliche Aufarbeitung und eine Ausstellung über die Lebenssituation ehemaliger Heimkinder in der Zeit von 1945 bis 1975 unter Berückssichtigung ihrer lebenssituation nach dem Heimaufenthalt.
Nach der ersten Anhörung gab es im Mai 2007 einen weiteren Termin. Ehemalige Betreiber von Erziehungsheimen mussten im Bundestag vor den Obleuten des Petitionsausschusses Auskunft geben über die Erziehungspraxis in kirchlichen und staatlichen Heimen in den 50er und 60er Jahren.
"Geladen waren unter anderem Vertreter der Diakonie und der Caritas. Zur Sprache kam auch die Kritik an der Praxis in diesen Heimen, wie sie im Buch ,Schläge im Namen des Herrn' beschrieben ist und wie sie auch von ehemaligen Heimkindern in der ersten Anhörung des Petitionsausschusses bereits im Dezember 2006 vorgetragen wurde", so der Autor des Buches und Spiegel-Redakteur Peter Wensierski. Nach der Sitzung sei von Beteiligten zu hören gewesen, dass die Vorwürfe keineswegs abgewehrt worden wären, sondern dass "man nun ernsthaft an die Aufarbeitung gemeinsam mit den Heimkindern herangehen will" und weitere praktische Schritte erfolgen sollen, so Wensierski auf seiner Homepage.
Am 21 Januar 2008 soll es eine weitere nicht öffentliche Anhörung mit Experten geben, erfuhr die WR vom Ausschussdienst. Nachdem die Heimaufsichtsbehörden Rede und Antwort gestanden hatten, sollen nun Fachleute aus der Jugendhilfe, der Heimaufsicht, der Rentenversicherung und Traumaforscher zu Worte kommen.
Erst dann entscheidet der Petitionsausschuss die weitere Vorgehensweise.
Es sei sehr schwierig, jetzt eine Tendenz abzugeben bzw. zu beurteilen, in welche Richtung im Ausschuss gedacht werde, bevor nicht alle Seiten zu Wort gekommen seien, erfuhr die WR aus Ausschusskreisen.
Auf das Ergebnis gespannt dürfte auch die Evangelische Stiftung Loher Nocken sein. Wie berichtet, wird auch hier eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte angestrebt.
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