Hallo
Pastor Tereick,
Es kam mir in dem Gästebucheintrag nicht
auf die korrekten Daten, sondern eher auf die Vorkommnisse, die viele
der Insassen und ich erdulden mussten, an.
Ich
bin auch erstaunt über das Wort "Wahrheit", das ich
ihrem Text entnehmen mußte. Über die Wahrheit wird in der
Diakonie Freistatt doch geschwiegen.
Ich
bin einmal so frei und schätze Sie meinem Alter nahe. Woher
wollen sie wissen, was damals geschah ? Ich war hautnah dabei. Sie
auch ?
Es stimmt, ich
kam im Frühjahr 1973 nach Freistatt. An das genaue Datum kann
ich mich nicht erinnern, aber das war für einen gerade 14 Jahre
alt gewordenen Jungen eigendlich auch nicht so wichtig. Es war also
der “16.03.1973” ? Fein, dann kann ich ihnen mit
Gewissheit sagen, das ich am 17.03.1973 morgens um 7:00 Uhr dort auf
dem Hinterhof von Wegwende stand und danach ins Moor mußte. Und
das täglich von Montags - Freitags für mindestens ein Jahr.
Nicht wie Sie es dahinstellen wollen
(“Wochen oder allenfalls Monate”) !!!
“Schulverweigerer”
und “Schulabbrecher” war ich also. Oh manno man. Das
trifft mich hart, solch eine Betitelung. Ich kam mir eher wie ein
Vierzehnjähriger vor, der wohl gerade anfing zu pupertieren. Der
gerade seine Mutter (gestorben 1969) und seinen Vater (gestorben
1970) verloren hatte. Einer, der von einem Heim ins andere geschickt
wurde, der wieder und wieder die Schule wechseln mußte, der nie
richtige Freunde fand, weil er mußte ja mal wieder die Schule
wechseln .... den nennt man dann also “Schulverweigerer”
und “Schulabbrecher” ....
Wo
waren denn in Freistatt die Pädagogen und Fürsorger zu
finden ? Ich fand zum Anfang nur Herrn Herrmann, den Arbeitsleiter im
Moor. Ich mußte im Moor als Vierzehnjähriger schuften,
schuften, schuften. Auch wenn es nur "Wochen oder allenfalls
Monate" gewesen wären .... ich war 14 .... ein kleiner
Junge ..... Es war knüppelharte Arbeit und wenn Sie mir das
nicht glauben, dann werde ich nach Freistatt kommen und mit ihnen ein
oder auch zwei Tage im Moor arbeiten gehen, wenn Sie den Mut dazu
haben.
Leider kann ich
mich nicht mehr genau daran erinnern, wann ich wieder zu Schule gehen
durfte, aber ich meine es war Ende 1974. In Varrel wars, ich werd es
nie im Leben vergessen. Der kleine rote Fort Transit, der mich über
einige Dörfer zur Schule brachte. Ich war der erste Freistätter,
der in Varrel zur Schule gehen durfte. Wäre auch bestimmt ganz
nett gewesen, wenn ... ja wenn da nicht ein kleines Problem gewesen
wäre !!! Können Sie sich denken, was das für ein
Problem war ?
Na Herr
Pastor Tereick .... kein Plan ? Ich sags ihnen. Ich war Freistätter
und glauben Sie mir ... Kinder können sehr gemein werden. Das
durfte ich auch jeden Tag spüren. Aber darüber mit einem
Sprechen ? Mit wem denn ? Genau, mit Herrn Klapproth. Kennen Sie den
Ausdruck " “Bürorally" Nein ? Ich kannte diesen
zwar, aber bis Dato blieb mir dieser erspart. Herr Klapproth, ein
Mann von ca 220 Kilo Gewicht gegen einen kleinen Freistätter von
ca 45 Kilo in seinem Büro .... den Rest erspar ich ihnen lieber.
Das waren die Chancen die
Freistatt mir bis dahin gab. Nur so nebenbei .... in Freistatt machte
ich vom 06/1975 - 09/1975, also in nur drei Monaten den
Hauptschulabschluß nach. Anscheinend war ich garnicht so blöd.
Ja Ja, der liebe Bäcker
Hugo Hahl. Wenn der wüßte was für einen tollen
Gesellen der da hatte. Lebt der Geselle noch in Freistatt ? Wenn ja,
dann fragen Sie den doch mal nach seiner Gesinnung, aber nicht nur
nach der politschen oder religiösen .... mehr sag ich nicht
dazu.
”Sucht er
immer die Schuldigen bei anderen ?” ... na, Sie haben bestimmt
gerade daran gedacht, oder ? Nein Herr Pastor Tereick, das tue ich
nicht ! Das hier ist die Wahrheit, die Wahrheit über einen
kleinen Jungen der nicht mehr in die Schule gehen mochte.
Einen kleinen Jungen über
den sich 3 Ämter hermachten. 2 Fürsorge- und 1 Kirchenamt.
Einen kleinen Jungen, dem “keine angemessende Hilfe mehr
angeboten werden” konnte.
Irgendwie
klingt es voller Hohn, wenn ich solche Worte lesen muß.
“Angemessen”, sagen Sie mir, was ist Ihrer heutigen
Ansicht nach, denn “angemessen” für mich ?
“Angemessen“ ....
für ein Jahr Knüppelarbeit im Moor oder im stinkendem
Putenstall bei Bauer Harms ( Name Fiktiv ) ...
“Angemessen“
.... für Schweinestall ausmisten im anstaltseigenen Betrieb oder
wundgescheuerte Finger beim Steinmetz Hiller ( Name Fiktiv )
“Angemessen“ ....
für Kinderarbeit, die vom Gesetzgeber aus verboten war !?
Den Lohn für die
Schufterei habe ich bekommen. Jeden Tag bekomme ich einen kleinen
Zins für die Arbeit in Freistatt.
Diesen Lohn
gönne ich keinem meiner Mitmenschen, denn er ist fast
unerträglich. Aber welche kleine Wirbelsäule macht sowas
auf Dauer auch schon mit.
Wir
waren noch keine
"richtigen Männer"
Mit
freundlichen Grüßen Peter
Remmers ehemaliger examinierter Krankenpfleger
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