Aus der
Geschichte lernen – die Heimerziehung in den 50er und
60er Jahren, die Heimkampagne und die Heimreform
Veranstaltung des
Landeswohlfahrtsverbandes Hessen mit der Internationalen
Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) und
dem SPIEGEL-Buchverlag bei DVA – am 9. Juni 2006 in
Idstein im Taunus
Ausschnitt
aus der Tagungsdokumentation (Kassel, August 2006) ISBN:
3-9251-65-2 ISBN: 13:978-3925146-65-7
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Diskussion zu
den Vorträgen
Moderatorin,
Tissy Bruns: Alle Vortragenden sitzen in allergrößter
Nähe. Das Program sieht jetzt vor, dass wir eine Etappe
der Fragen und kurzen Antworten einlegen. Ein Wort zu mir: Ich
heiße Tissy Bruns, bin Redakteurin beim Tagesspiegel aus
Berlin und werde die Diskussion am Nachmittag moderieren. Sie
soll vor allen Dingen Gelegenheit geben, an unsere Referenten
Fragen zu richten. Wer will, hebt den Arm, ich registriere die
Wortmeldungen und bitte um kurze persönliche Vorstellung
für jeden, der an das Mikrofon geht.
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]
Prof. Dr. Mechthild Wolff Fachhochschule
Landshut und Internationale Gesellschaft für
erzieherische Hilfen (IGfH): Zunächst
möchte ich hier sagen: mir fällt es schon schwer, in
dieser Bundheit dieses Podiums, nach solchen Bemerkungen von
einem Betroffenen, auf eine Ebene der Politik und die Ebene
„was machen wir jetzt daraus“ zu kommen. Das ist schob
sehr schwer. Das ist auch eine große Herausforderung und
ich möchte sagen, dass ich hohen Respekt habe vor den
Menschen, die all das hier angeschoben haben. Denn es ist
kein Buch des Spiegels gewesen, was diese Sache losgebrannt
hat, sondern es sind die Betroffenen selber gewesen, und da
würde sich auch schon meine erste Forderung daraus
ergeben: die Betroffenen selber brauchen dringend Unterstützung
bei der Gründung einer Selbsthilfeorganisation, die auch
politisches Gehör bekommt und die eine politische
Tragweite hat. Wenn es um alle Entscheidungen auf politischer
Ebene geht, wenn es darum geht, über Kompensationen zu
entscheiden, sollen sie auch Gehör und politisches Gehör
finden. Das heißt, es muss bei uns – wie in anderen
Ländern auch, wenn wir da beispielsweise nach England
schauen – eine Organisation von Selbshilfe- gruppen
geben, die einen legalen und offiziellen Status erhält. Das
ist das Erste.
Das Weitere, was mir wichtig ist, nämlich
bei unserem Thema den Bezug herzustellen zu "Geschlossenen
Unterbringungen" und was dort heute aktuell passiert. Dazu
hat hat gerade eine Veranstaltung der IGfH stattgefunden. Diese
aktuellen Bezüge herzustellen, das ist ja eigentlich unser
Auftrag als Verband, das ist unsere Position. Wir würden
gerne als Fachverband an viele tabuisierte Themen herantreten;
sogenannte „Grauzonen“ sind bei der "Geschlossenen
Unterbringung" da ein Thema. Wir haben bei einer
Veranstaltung uns vor einigen Wochen damit beschäftigt, wie
viele "Formen der Geschlossenen [Unterbringung]" oder
"Teilgeschlossenen Unterbringung", ja der
sogenanten „time-out-Räume“, der
Möglichkeiten, Kinder wegzuschließen, ohne irgendeine
rechtliche Handhabe, ohne auch nur einen Grund oder eine
Legimitierung dafür zu haben. Das heißt, "Schwarze
Pädagogik" findet bei uns in den Einrichtungen nach wie
vor statt. Darunter leiden auch Kinder, und das kann nicht
sein. Das heißt, wir können heute in aktuellen Zeiten
genauso eine Skandalisierung betreiben, denn auch heute werden die
Rechte von Kindern ebenfalls mit Füßen getreten. Das
heißt, da müssen wir Farbe bekennen und müssen
dringend den Finger in die Wunde legen; und dies passiert, obwohl
es Heimaufsichten gibt. Das ist also brandaktuell. Da müssen
wir unbedingt weiterkommen. Wir müssen auch unbedingt
weiterkommen in der Frage der Beteiligung von Kindern in der
Heimerziehung. Da gibt es ganz viele Momente, wo Kinder längst
nicht das Recht haben zur Selbstorganisation in den
Einrichtungen oder um sich zu beteiligen an Entscheidungen. Wir
brauchen diesbezüglich ganz dringend auch eine Plattform,
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die das weiter diskutiert, die Empfehlungen weiter
diskutiert. Die IGfH hat bereits zu diesem Thema viele
Vorschläge unterbreitet, gerade in einem Projekt, wo es
um Beteiligung geht. Hier ist u. a. Das Thema "Beschwerde"
ein wichtiger Punkt, wenn es hier um die aktuelle Heimerziehung
geht. Wo bringen Kinder ihre "Beschwerden" an,
wenn ihnen unrechtmäßig etwas passiert, wenn sie mit
einer "Maßnahme" nicht zufrieden sind? Das
müssen eigentlich ganz selbstverständliche Standards
innerhalb der Heimerziehung werden und das müssen wir
unbedingt vorantreiben.
Wofür ich auch persönlich
fachlich stehe, ist eine unbedingte Endtabuisierung des Themas
"Machtmissbrauch in [der] pädagogischen Setting“
und insbesondere des "sexuellen Machtmissbrauchs von
Kindern und Jugendlichen". Das passiert allzu häufig
auch in unseren Jugendhilfeeinrichtungen. Das ist ein Thema,
was man nicht gerne hört, was wieder den Finger in die
Wunde legt, aber es passiert nach wie vor. Wir müssen
diesbezüglich unbedingt auch in den Ausbildungsstätten
früh anfangen, die werdenden Sozialpädagogen dafür
zu sensiblisieren, dass sie sich dessen bewusst sind, was sie da
eigentlich tun. Sie müssen auch darüber informiert
werden, welche Möglichkeiten der Prävention sie
haben, weil, ich glaube, dass die Beteiligung von Kindern und die
Würdigung der Rechte von Kindern ganz wichtige und
wesentliche präventive Maßnahmen sind. Also das erst
mal dazu.
Moderatorin, Tissy Bruns: Vielen
Dank Frau Wolff.
[ und später noch einmal @ Seite 87
]
Prof. Dr. Mechthild Wolff: Was mir die
Diskussion seit heute morgen gezeigt hat, ist die Tatsache, dass
wir die Diskussion nicht entzerren dürfen zwischen den
Einzelschicksalen und den ganzen Diskussionen um strukturelle
Rahmenbedingungen, Trägerbedingungen, politische Bedingungen,
etc. Alles hat miteinander zu tun, so schwierig das auch ist, hier
miteinander zu sitzen und eine gemeinsame Sprache zu finden.
Sie ist aber wichtig, um sich nicht auseinander dividieren zu
lassen, um letztendlich die Lösung zu finden, die die
Betroffenen auch wirklich brauchen. Ich glaube da kommt man
auch nicht umhin, an beiden Seiten anzusetzen: an den
institutionellen Strukturen von Einrichtungen und dem, was die
Menschen daraus machen, was die Menschen pädagogisch daraus
machen. Beides kann manchmal nicht zusammenpassen und Menschen
in den Einrichtungen können darunter zu leiden haben.
Diese Ebenen sind mir eigentlich in der Diskussion noch mal
sehr klar geworden: Strukturen in den Einrichtungen müssen
verändert werden, aber auch die Menschen, die darin
arbeiten. Um gerade die Themen "Beteiligung"
und "Kinderrechte" und deren Umsetzung heute
voranzutreiben und Unrecht in der Vergangenheit zu beleuchten,
dedarf es einer Plattform und Organisation, die sich dafür
anbietet, solche Prozesse kritisch zu begleiten. Hier muss man
versuchen allen gerecht zu werden.
Die IGfH hat mit dieser
Veranstaltung einen Anfang gemacht und hat den
dringenden Diskussionsprozess auf dieser Tagung unterstützt,
dafür stehen wir. Und ich denke, dass ich im Sinne des
ganzen Vorstandes spreche, wenn ich sage, dass wir da
sicherlich auch dran bleiben an dem Ball, das weiterhin zu
befördern. Dafür steht der Verband, für eine
qualitativ gute Heimerziehung und auch Heimreform; seit den
Anfängen des schon in die Diskussion geworfen hätte:
Wir kommen nicht umhin zu diskutieren, wenn Einrichtungen
Rechtsbrüche begangen haben. [.٪.] Vorhin
hatte jemand in der Diskussion gesagt: „Die Einrichtugen
sind ja garnicht so schlecht.“ Ich glaube was uns fehlt,
[ist] – ehrlich gesagt, und da sind für mich ernsthafte
Grenzen –, dass wir überhaupt keine gezielten
Informationen darüber haben, wo eigentlich das Recht von
Kindern nicht anerkannt wird. An dem Beispiel gibt es keine
systematische Erfassung – um nur mal bei dem Thema
"sexueller Missbrauch in Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe" zu bleiben. Es gibt keine Stelle, an der das
offiziell zusammengeführt würde. Keine Instanz, die
Informationen darüber hätte, geschweige denn, dass
teilweise die Landesjugenämter darüber Bescheid
wüssten. Ich finde ein wichtiger Punkt ist, dass man in diese
Unrecht- situation, in dieses Bermudadreieck hineinblicken
sollte und Informationen systematisch erfasst. Es fehlt da an
empirischen Daten, die Unrecht belegen können, damit
wir überhaupt wissen wovon wir reden. Wir müssen das
skandalisieren und uns auf den Weg machen, daraus politische
Forderungen zu stellen.
Moderatorin, Tissy
Bruns: Danke.
[
Für die vollständige – 102 Seiten umfassende –
Tagungsdokumentation wird ein Unkostenbeitrag von 8.00 Euro
erhoben. Bestelladresse: Landeswohlfahrtsverband Hessen,
Pressestelle, Ständeplatz 6-10, 34117 Kassel, Bunderepublik
Deutschland – Germany.
Pressestelle Ansprechspartner,
u.a.: Jörg Daniel Telefon: (05 61) 10 04 - 22
13 [email protected]
]
[
Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) @
http://www.igfh.de/
Marina
Groth Sachbearbeiterin Sekretärin Schaumainkai
101-103, 60596 Frankfurt am Main Telefon: 069/
633986-0 Fax: 069/ 633986-25 E-mail: [email protected]
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