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POLITIK | SOZIALES
Bericht - 27 Nov 2008, 00:17 - Nr. 5844
„Runder Tisch“ für ehemalige Heimkinder
BERLIN. (hpd) Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat nach zweijähriger Arbeit einstimmig einen Beschlussentwurf verabschiedet, der die Einrichtung eines „Runden Tischs“ formuliert, um die weitere Aufarbeitung der Thematik der Heimkinder während der Zeit der „schwarzen Pädagogik“ zu ermöglichen.
In der 71. Sitzung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages befasste sich das Gremium am Mittwochabend in einer öffentlichen Sitzung und in Anwesenheit des Bundestagspräsidenten mit der Petition zum „Schicksal ehemaliger Heimkinder“.
„Erlittenes Unrecht und Leid“
Die Sprecherin der Arbeitsgruppe Petitionen im Bundestag, Gabriele Lösekrug-Möller, referierte eingangs über die langwierige, zweijährige Arbeit des Ausschusses und stellte ausdrücklich fest, dass alle Mitglieder des Petitionsausschusses sich einig darin seien, dass die Tabuisierung von Missständen in den Heimen der 50er und 60er Jahre beendet werden müsse. Sie erklärte: „Der Petitionsausschuss sieht und erkennt erlittenes Unrecht und Leid, das Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Kinder- und Erziehungsheimen in der alten Bundesrepublik zwischen 1945 und 1970 widerfahren ist und bedauert dies zutiefst.“ Es sei ein dunkles Kapitel in der Jugendhilfe der Nachkriegszeit und der Petitionsausschuss habe viele Berichte von Betroffenen gehört. Eine Aufarbeitung sei notwendig: „Tat bleibt Tat. Opfer bleibt Opfer.“
Wesentlich zu der öffentlichen Thematisierung des Schicksals dieser Heimkinder hat auch das Anfang 2006 veröffentlichte Buch des Spiegel-Redakteurs Peter Wensierski „Schläge im Namen des Herrn“ beigetragen. Dazu schreibt der Petitionsausschuss in seiner Empfehlungs-Begründung zu der damaligen historischen Situation: 1961 wurden die Rechtsgrundlagen für eine Heimaufsicht durch das Landesjugendamt geschaffen. Jedoch: „Die Erweiterung der staatlichen Aufsichtsrechte bei der institutionellen Heimaufsicht entsprach nicht der beabsichtigten eindeutigen [finanziellen] Vorrangstellung der freien Träger, sondern wurde als Einmischung des Staates in die Autonomie der freien Träger, insbesondere der Kirchen und konfessionellen Verbände als Träger von Einrichtungen, betrachtet.“
Als Weg für das weitere Vorgehen empfiehlt der Petitionsausschuss die Einrichtung von einem nationalen und mehreren regionalen „Runden Tischen“, an denen ehemalige Heimkinder, Heimträger oder deren Nachfolger, Wohlfahrtspflege und Kirchen, Vormundschafts- und Familiengerichte, Kinder- und Jugendhilfeverbände, fachliche Forschungseinrichtungen und Ministerien des Bundes und der Länder teilnehmen sollen. Als Vorsitzende wird Dr. Antje Vollmer vorgeschlagen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert betonte noch einmal das Außergewöhnliche der Teilnahme des Bundestagspräsidenten an einer Ausschusssitzung, mit der er aber die Bedeutung des Themas würdigen möchte und er bewertete den Aufwand und die Intensität der Beratungen als „historisch ohne Vergleich“. Der Petitionsausschuss hätte es sich auch einfacher machen können, indem er die Petition formal abgelehnt hätte, da die Heimaufsicht bei den Bundesländern läge. Aber sie wurde angenommen und mit dem Beschluss wird deutlich, dass das Thema eben nicht wieder ad acta gelegt werden solle - auch wenn es aus der Sicht mancher Betroffener entsetzlich lange gedauert habe, bis die Politik bereit war, sich dem Thema zu stellen.
„Wahrheitsfindungskommissionen"
Antje Vollmer, 1994 - 2005 Bundestagsabgeordnete und Bundestagsvizepräsidentin erklärte sich bereit, als Schirmherrin des nationalen „Runden Tisches“ zu fungieren, auch wenn sie sich der Schwierigkeit der Aufgabe bewusst sei. Aber: „Es braucht den Mut zur Aufklärung." Sie betrachtet die „Runden Tische“ als eine Art „Wahrheitsfindungskommission“ und sieht vier Phasen der Arbeit: 1. Zuhören, was die Betroffenen zu sagen haben; 2. Einordnen und Vergleichen; 3. Beurteilungen formulieren, auch mit Hilfe der Wissenschaft, und 4. Lösungsvorschläge zu erarbeiten.
Die eingeladenen Vertreter der Verbände der Heimkinder verwiesen nicht nur auf ihre eigene persönliche Betroffenheit und die Frage, „Warum ist es so geschehen?“, sondern verwiesen auch auf die aktuellen Zustände, insbesondere in einzelnen Behindertenheimen und Altenheimen und den dortigen Menschenrechtsverstößen, bei deren Ahndung auch heute wieder die Heimaufsicht versage.
Neben einzelnen Betroffenen, die eine zügigere Wiedergutmachung und Entschädigung erwartet hatten, waren sich Politiker und Vertreter der Verbände ehemaliger Heimkinder einig: „Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt!“
Die Beschluss-Empfehlung für das Plenum des Deutschen Bundestages wurde einstimmig angenommen. Es entspricht den Gepflogenheiten, dass der Bundestag dieser Empfehlung als Beschluss zustimmt. Dann sind die Ministerien gefordert, die entsprechenden Mittel für die Einrichtung und Organisation der „Runden Tische“ bereit zu stellen.
CF.
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