[
Aus dem Internet enthoben @
http://www.emak.org/Briefe/Schaefer%20an%20Gohde.htm
] ( die,
bisher, einzig, im Internet auffindbare Quelle )
Offener
Brief
Herrn
Präsident Dr. h.c. Jürgen Gohde Diakonisches Werk
(EKD) e. V. Reichensteiner Weg 24 14195 Berlin
[
12. April 2006 ]
Sehr geehrter Herr Präsident,
vor
knapp einem Monat habe ich mich in der Heimkinder-Sache an Sie
gewendet. Ein Zufallsfund gibt mir Anlaß, Ihnen noch einmal zu
schreiben. Der epd meldete, Sie wollten, daß die Mißstände
in den Nachkriegs-Heimen umfassend aufgearbeitet werden.
Dazu
gehört auch eine Neubewertung des Wirkens von Johann Hinrich
Wichern, der ohnehin schon in dieser Diskussion mit Äußerungen
zitiert wurde, die nicht zum Bild paßten, dass man in seinem
Theologiestudium (vom Religionsunterricht abgesehen) von ihm bekommen
hat. In meinem Zufallsfund geht es zwar nicht um Heime, sondern um
das Gefängnis in [Berlin-]Moabit. RGG [ “Religion
in Geschichte und Gegenwart” ] und TRE [
“Theologische Realenzyklopädie” ] schreiben,
daß Wichern mit seinen Gefängnis-Reformvorstellungen
gescheitert sei. Über die Gründe erfährt man dort
nichts. Wenn der Verfasser meiner Fundstelle recht hat, hielten die
Abgeordneten des Preußischen Landtages, denen man wohl keine
„Humanitätsduselei“ gegenüber Strafgefangenen
unterstellen darf, die Maßnahmen Wicherns und seiner „Brüder“
für unmenschlich.
Dies wirft Fragen nach den Konzepten
des Rauhen Hauses auch für die Heimerziehung auf, die der
Aufarbeitung ebenso bedürfen, wie die Frage, ob der
Rettungshausgedanke nicht letztlich eine Spielart von
Fundamentalismus ist, der die persönlichen Belange der zu
Rettenden eher vernachlässigt oder ihnen gar brutal (aus
„höherer“ Sicht) zuwiderhandelt. Gewiß war
Wichern ein Kind seiner Zeit und wie wir, die Kinder unserer Zeit,
einmal beurteilt werden, steht noch dahin. Doch durch die
aufgekommene Diskussion, die – nach meinem Eindruck in den
Medien – nur sehr widerwillig aufgenommen wurde, steht das
Ansehen der Kirche (Kirche als „Dachmarke“ für beide
Großkirchen und deren Institutionen) auf dem Spiel. Es gibt
Beispiele aus frischer Vergangenheit, wie angemessen oder schädigend
manche Firmen mit geschichtlicher Schuld oder aktuellen „Pannen“
umgehen. Nachdem Herr Wensierski die Öffentlichkeit mit seinem
Buch [ "Schläge
im Namen des Herrn - Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in
der Bundesrepublik"
] gefunden und alarmiert
hat, werden die Kirchen angemessene Formen finden müssen, um
ihre Vergangenheit – die in den Heimkindern weiterlebt –
und ihre davon abgehobene Praxis in der Gegenwart der Öffentlichkeit
glaubwürdig zu kommunizieren. Die Behandlung der Probleme auf
lokaler Ebene ist zwar essentiell für die Betroffenen, reicht
aber nicht aus, um den „Image-Schaden" der Kirchen zu
beheben.
Als meinen Beitrag zur Aufarbeitung schicke ich dem
Ratsvorsitzenden der EKD eine Kopie meines Schreibens und seiner
Anlage und stelle beides auch dem Verein ehemaliger Heimkinder e. V.
zur Verfügung.
Mit freundlichem Gruß Dierk
Schäfer Evangelische Akademie Bad Boll . Akademieweg 11 .
D-73087 Bad Boll [email protected]
|