Der Betreiber dieser nichtkommerziellen Webseite ist der hoch-engagierte Martin Mitchell in Australien (ein ehemaliges “Heimkind” in kirchlichen Heimen im damaligen West-Deutschland) |
[ Enthoben aus dem Internet @ http://www.tah.de/cgi-bin/siteyard/eigene/drucken.htd?story_id=315241 &storypage;=true&story;_headline=Wenn+Du+nicht+brav+bist,+kommst+Du+ins+Heim ] Wenn Du nicht brav bist, kommst Du ins Heim Michael-Peter Schiltsky. Kreis Holzminden (25.03.06). Sie sollen in einer Gesellschaft bestehen, die ihnen das Rüstzeug dafür verweigert hat: Zuneigung haben sie nicht erfahren, Vertrauen nicht aufbauen können. Michael-Peter Schiltsky muss, weil er aus Vahlbruch ist, der Ankerpunkt dieser TAH-Reportage sein, obwohl er darin eigentlich gar nicht auftauchen möchte. Doch Schiltsky ist Heimkind der Wirtschaftswunderzeit, ein geschundenes, ein missbrauchtes Kind. Und er hat, als einer von ganz, ganz wenigen, das Abitur geschafft und studiert. Gesprochen hat er über das, was ihm in seiner Jugend passierte, lange Zeit nicht. Jetzt aber ist er Sprachrohr und Anlaufstelle des jungen Vereins ehemaliger Heimkinder, tourt durch Talkshows (am 30. März bei Johannes B. Kerner), mahnt in Radiosendungen die Pflicht von Staat und Kirche als Betreiber der Heime an, die Betroffenen - es sind mehrere 100.000 - als Opfer eines lange verschwiegenen, unrühmlichen Kapitels deutscher Heimerziehungs-Geschichte anzuerkennen. Der Mann mit dem Zopf, der obligatorischen Fliege und der stets korrekt zugeknöpften Weste ist Germanist und Künstler. Sein Zuhause haben er und seine Familie in Vahlbruch gefunden. Ein altes Fachwerkgehöft hält als Wohndomizil, Künstlerwerkstatt und jetzt auch als Büro für den Verein ehemaliger Heimkinder her. Die Zimmer sind niedrig, kaum zu heizen. Kalt bleibt’s, egal, wie viele Scheite Schiltsky in den bollernden Kaminofen schiebt. Es ist, als will dieser Raum wiedergeben, was Michael-Peter Schiltsky in all den Jahren nach dem Heim nicht ablegen konnte: diese Ahnung von der Erfahrung menschlicher Kälte, diese ständige Angst, allein gelassen zu werden. „Es fehlt, was man normalerweise mit Urvertrauen bezeichnet”, sagt der Mann, der mit 14, neu im Heim, in seiner ersten Nacht erfahren musste, dass menschliche Nähe schlimm, schmerzhaft, unerträglich sein kann. „Nicht jeder hat die Möglichkeit, über seine Arbeit das Ventil zu finden, um sein Leid herauszuschreien”, sagt Bildhauer Michael-Peter Schiltsky, der sein Leben sehr viel besser in den Griff bekommen hat, als viele seiner Leidensgenossen. Deshalb formuliert er für sie, was sie erleiden mussten, was sich fortsetzt bis zum heutigen Tag: Wer in seiner Kindheit, in seiner Jugend als dumm bezeichnet wurde, so in den Akten landete, der muss auch heute noch erfahren, dass es schwer ist, der Bürokratie das Gegenteil zu beweisen. „Wenn Du nicht brav bist, dann kommst Du ins Heim!”, diesen Satz haben in den 50er und 60er Jahren Millionen junger Menschen zu hören bekommen. Am Ende waren es einige hunderttausend Kinder und Jugendliche, die tatsächlich hinter den Mauern der staatlichen und kirchlichen Erziehungsanstalten zu „Zucht und Ordnung” erzogen wurden. „Für sie fiel eine schwere Tür ins Schloss, hinter der sie die ganz anderen, die dunklen fünfziger Jahre erlebten”, schreibt Peter Wensierski in seinem Buch „Schläge im Namen des Herrn - Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik”. Der Spiegel-Autor hat mit seinem Buch die Intitialzündung geschafft: Endlich ist das Schicksal der ehemaligen Heimkinder Thema. Gemeinsam mit Michael-Peter Schiltsky und weiteren Betroffenen, sie sich aus der Deckung wagen, spricht er offen aus, was lange tabu war: „Wer in die Heime kam, war selten ein Waisenkind oder Krimineller. Es waren meist nichtige Gründe, die zur Einweisung in die Erziehungsanstalten führten - Gründe, die ein gesellschaftliches Kartell bestimmte, zu dem Jugendbehörden, Gerichte, Lehrer, Nachbarn, Eltern und vor allem die damals noch einflussreichen Kirchen gehörten”. In den Heimen wurde geprügelt, mit Lederriemen und Gummischläuchen, zwangsmedikamentiert, gab es sexuellen Missbrauch und Zwangsarbeit, in den Heimen war die Liste der Erniedrigungen, Demütigungen und Verletzungen endlos lang. Das, weiß Schiltsky, lag auch daran, dass die kirchlichen Mitarbeiter für die Arbeit, die sie machen mussten, nicht ausgebildet waren. Pädagogik wurde durch Härte ersetzt. Statt Nächstenliebe gab es Gebete. Heute versucht Michael-Peter Schiltsky, mit den Heimträgern von damals ins Gespräch zu kommen. Briefe aus Vahlbruch gehen an den Bundestag und den Bundespräsidenten, an die Bundeskanzlerin, die Kirchenleitungen und die Länder. „Wir bitten (…) um eine Erklärung, in der die Ereignisse von damals unmissverständlich als geschehenes Unrecht benannt werden”. Eine unmissverständliche Entschuldigung verlangen die Betroffenen. „Es ist an der Zeit, uns nicht weiter mit unseren Problemen allein zu lassen. Eine große Zahl ehemaliger Heimkinder leidet bis heute unter den Folgen der menschenverachtenden Behandlung, der sie als Kinder und Jugendliche ausgesetzt gewesen waren”, appelliert er an die Oberen in Staat und Kirche. Schiltsky wird täglich mit den Folgen der Heimzeit konfrontiert. Bei sich selbst - „schlimm sind diese Flashbacks, manchmal nur Kleinigkeiten. Es sind Farben, Bilder, Gerüche, die einen zurückversetzen”, noch heute geht er nicht ins Gasthaus. Das Besteck-Klappern, die Tischreihen… - Und bei den Menschen, die sich an ihn als Leiter Anlaufstelle des Vereins wenden. Langsam, vorsichtig, wagen sie, die nicht einmal ihrem Lebenspartner etwas von ihrem Heimschicksal erzählt haben, sich vor. „Jeden Tag erreichen mich zehn, 20 Mails von Betroffenen. Viele haben niemandem etwas erzählt. Das bedeutet gleichzeitig, dass sie allein sind mit ihrer Geschichte”. Eine Geschichte, die lange niemand hören wollte. „Das Problem ist, wir können alle nicht beweisen, was mit uns passiert ist. Nur durch die Vielzahl der Berichte ergibt sich ein Gesamtbild, das die einzelnen subjektiven Aussagen als Ganzes objektiviert”. Wenn sie dann ein wenig Vertrauen fassen, bricht ein Damm. Michael-Peter Schiltsky kennt das aus vielen Gesprächen, täglichen Telefonaten: „Wenn es mir gelingt, dass sie am Schluss langsamer atmen, beruhigter sind, habe ich viel erreicht. Es ist ganz wichtig, dass auf der anderen Seite jemand sitzt, der auch betroffen ist. Nur so kann Vertrauen aufgebaut werden”, sagt er von sich und seiner Arbeit in der Anlaufstelle. Es ist eine Sisyphusarbeit, die Ausdauer verlangt. Doch Schiltsky folgt beharrlich seinem Ziel: Er will einen Weg finden, dass die Betroffenen als Opfer eines unrühmlichen Kapitels der Heimerziehungs-Geschichte anerkannt werden, er will eine Anhörung im Bundestag mit einer „Vorlesestunde” der Betroffenen zu ihren Heim-er-Lebensgeschichten. Und er will, dass im Bundestag eine Ausstellung über die Lebens- und Leidensgeschichte ehemaliger Heimkinder ausgerichtet wird. Schließlich will er ein Eingeständnis der Schuld und die Bitte um Vergebung durch die Verantwortlichen oder deren Rechtsnachfolger. Das wäre, so Schiltsky, „ein hilfreicher Akt, den steinigen Weg der Bewältigung des erlittenen Leides gangbarer zu machen”. Verein ehemaliger Heimkinder. 37647 Vahlbruch. E-Mail: Anlaufstelle[a]vehev.org. „Heimseite”: www.vehev.org. „Schläge im Namen des Herrn” von Peter Wensierski, Spiegel-Buchverlag ISBN 3-421-05892-X. |
Bitte nicht vergessen auch "Ehemalige Heimkinder" @ http://heimkinderopfer.blogspot.com zu besuchen. |
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