Pfarrer
Wolfgang Wagner von der evangelischen
Akademie Boll nimmt Stellung zur Heimerziehung im
Nachkriegsdeutschland (BRD) (Westdeutschland), dem SPIEGEL-Buch
“Schläge im Namen des Herrn”, und zu den Aussagen
von Jürgen Gohde, Präsident des Diakonischen Werkes, dazu.
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Enthoben aus dem Internet @
http://www.ev-akademie-boll.de/Gewalt_Uberwinden_Detail.361.0.html? &cHash=e629a9a92d&tx_ttnews%5BbackPid%5D=360&tx_ttnews%5Btt_news%5D=294
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Stellungnahme
24.02.2006
Das
Leid der frühen Jahre
Zur
kirchlichen Heimerziehung in der Nachkriegszeit
Peter
Wensierski hat in der Deutschen Verlagsanstalt München 2006 das
Buch veröffentlicht „Schläge im Namen des Herrn".
Seine Forschung ist knapp dargestellt in einem Dossier der „Zeit"
Nr. 7 vom 9.2.2006.
Seine These: Hunderttausende von Kindern
wurden in Heimen der jungen Bundesrepublik misshandelt. Die größte
Verantwortung trifft die Kirche. Liest man diesen Artikel, ist man
schockiert von der Gewalt, die im Namen „christlicher
Nächstenliebe" jugendlichen Heimbewohnern angetan wurde.
Den größten Anteil hat offenkundig die katholische Kirche
durch ihre Caritas-Heime. Aber auch die evangelische Diakonie ist
betroffen. Kritisch wird vermerkt, dass sich die Kirchen vor dem
offiziellen Eingeständnis ihrer Schuld gegenüber den
ehemaligen Heimkindern drücken, wenn sie auch Vorwürfe
nicht mehr einfach abwehren. Doch es reicht nicht aus, was der
Präsident des Diakonischen Werkes, Jürgen Gohde, reichlich
gewunden formuliert hat: „An dieser Stelle müssen wir
feststellen, dass das zu dem Teil der Geschichte gehört, mit dem
wir leben müssen." Immerhin benennt er die
obrigkeitsstaatliche Tradition der Erziehung, von der auch die Kirche
nicht frei gewesen ist.
Meines Erachtens ist eine ökumenische
Anstrengung nötig, um diese dunkle Vergangenheit aufzuarbeiten.
Ansätze sind etwa Äußerungen von Günter
Matschke, der Anfang der sechziger Jahre als junger Diakon in einem
Knabenheim gearbeitet hatte: „Unser ganzer Stil war im Grunde
gewalttätig". Der Caritas-Abteilungsleiter im Erzbistum
Paderborn Theo Breuel, hat sogar gegenüber ihm persönlich
bekannten Betroffenen ein Schuldbekenntnis abgelegt, wie es die
Kirchen insgesamt tun sollten: „Wir bedauern zutiefst, dass
Derartiges vorgekommen ist". Von den einst 3000 Kinderheimen
werden heute noch etwa 400 genutzt. Die heutigen Leiter und
Mitarbeiter können sich kaum an das erinnern, was sich vor drei
oder vier Jahrzehnten in ihrem Haus einmal abgespielt hat. Die Opfer
allerdings erinnern sich sehr wohl.
Da die Anzahl der
auffällig gewordenen Kinder und Jugendlichen wieder zunimmt,
verlangen Einige wieder das „Wegsperren" und ein härteres
Durchgreifen.
Interessant ist, dass ein positiver Wechsel
erst nach 1968 durch die „Heimkampagne“ der APO
eingeleitet wurde. Ein bleibendes Verdienst kommt hier der
Journalistin Ulrike Marie Meinhof zu. Es ist tragisch, dass diese
begabte Frau später in den Terrorismus sich verlor.
Die
Evangelische Akademie Bad Boll plant dazu Veranstaltungen. Wer sich
dafür interessiert, möge sich melden. Ich denke, dass diese
Leidgeschichte ökumenisch aufgearbeitet werden sollte. Und wenn
sich die Kirchenleitungen nicht bei den Opfern entschuldigen und,
sofern möglich, für Wiedergutmachung sorgen, will ich es
tun.
Wolfgang Wagner
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