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Entschuldigung bei Heimkindern
Landeswohlfahrtsverband
spricht "tiefstes Bedauern" über Gewalt in
Erziehungsanstalten der Nachkriegszeit aus
Der
Landeswohlfahrtsverband LWV will ehemaligen Heimkindern bei ihrem
Kampf um Anerkennung und Unterstützung helfen. Das hat die
Verbandsversammlung am Mittwoch einstimmig beschlossen. In manchen
Erziehungsanstalten wurden bis in die 70er Jahre hinein Kinder
misshandelt.
Kassel · Der Landeswohlfahrtsverband
(LWV) bekennt sich zu seiner Geschichte. Bei der Sitzung der
Verbandsversammlung am Mittwoch in Kassel stand gleich zweimal die
Vergangenheit des hessischen Heim- und Krankenhausbetreibers auf der
Tagesordnung - um die nationalsozialistischen Euthanasie-Verbrechen
ging es und um die Gewalt in den Kinder- und Jugendheimen der
Nachkriegsjahrzehnte.
Mit einstimmiger Resolution erkannte das
Sozialparlament an, dass bis in die 70er Jahre hinein auch in den
Einrichtungen des LWV eine "aus heutiger Sicht
erschütternde"Erziehungspraxis mit "alltäglicher
physischer und psychischer Gewalt" geherrscht hat. "Der LWV
Hessen spricht sein tiefstes Bedauern über die damaligen
Verhältnisse in seinen Heimen aus und entschuldigt sich bei den
ehemaligen Bewohnern, die körperliche und psychische
Demütigungen erlitten haben." Stellvertretend für alle
Fraktionen bat der Vorsitzende der Grünen-Fraktion in der
Verbandsversammlung, Holger Heupel, die anwesenden ehemaligen
Heimkinder persönlich um Vergebung.
"Es geht nicht
darum, Vergangenheit zu bewältigen, das kann man gar nicht",
sagte er. "Ihr Leid bleibt verbunden mit Holzpritschen ohne
Matratzen, mit Strafbunkern, Besinnungsräumen, Arbeitszwang,
Schlägen, Demütigung." Vielmehr müsse gemeinsam
versucht werden, den Opfern der Heimerziehung ihre verloren gegangene
Ehre zurückzugeben. Der Verband versprach, sich weiter offensiv
mit diesem Teil seiner Vergangenheit auseinander zu setzen und die
"in seinen Möglichkeiten liegende Unterstützung"
früherer Heimbewohner zu leisten. Nächster Schritt ist eine
Tagung am 9. Juni im Sozialpädagogischen Zentrum Idstein, bei
der unter anderem die Einrichtung einer Beratungsstelle und einer
Gedenkstätte diskutiert werden soll.
Verein mahnt
Unterstützung an
Der Verein
ehemaliger Heimkinder begrüßte die Initiative des LWV.
"Die Bitte um Entschuldigung hat für die Betroffenen eine
große Bedeutung", sagte der Leiter der Anlaufstelle des
Vereins, Michael-Peter Schiltsky. Denn jahrzehntelang sei ihnen nicht
geglaubt worden, wenn sie von ihren Erlebnissen in den
Erziehungsanstalten berichtet hätten. "Das macht einen
verrückt." Jetzt sei wichtig, endlich auch ganz konkrete
Unterstützung zu organisieren - etwa mit dem unbürokratischen
Bewilligen von Therapien. Denn viele der früheren HeimKinder
würden noch heute unter dem langen Verdrängen leiden und
brauchten dringend psychologische Hilfe.
Die Aufarbeitung
dieses Kapitels der LWV-Geschichte steht noch am Anfang. Bei einem
anderen, dem düstersten, ist sie dagegen mittlerweile recht weit
gediehen. Die Sitzung der Verbandsversammlung wurde eingeleitet von
einer Feierstunde, in der das Gedenkbuch für die Opfer der
NS-Euthanasie-Verbrechen in Hadamar bei Limburg vorgestellt wurde: Es
enthält die Namen aller 14 523 Menschen, die in der dortigen
"Heilanstalt" zwischen 1941 und 1945 als lebensunwert
umgebracht wurden. "Das Gedenkbuch ersetzt am Sterbeort das Grab
und den Grabstein, die den Ermordeten verwehrt wurden", sagte
Gedenkstättenleiter Georg Lilienthal. Mit ihren Namen bekämen
die Opfer die Würde zurück. Joachim F. Tornau
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