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NDR-Info Radio-Reportage vom 21.09.2007 betreffend "Ehemalige Heimkinder" der BRD
»Misshandelt und ausgebeutet: Heimkinder in den 60er Jahren« - Viele von ihnen
leiden noch heute unter den Spätfolgen. Daher wollen sie Entschädigung -
finanzieller, vor allem aber moralischer Art. Der Petitionsausschuss des Bundestages
befasst sich zur Zeit mit dem Thema.
Am Freitag, 21. September 2007 lief in der "NDR-Info" Radio-Sendung der Beitrag Man wollte ihr Bestes, dafür mussten sie arbeiten, gehorchen und oft wurden sie geschlagen. Etwa eine halbe Millionen Heimkinder kamen in den 50er- und 60er-Jahren in solche Einrichtungen. Viele von ihnen leiden noch heute unter den Spätfolgen. Daher wollen sie Entschädigung - finanzieller, vor allem aber moralischer Art. Der Petitionsausschuss des Bundestages befasst sich zurzeit mit dem Thema. Eingesperrt in EinzelzellenAn den Februar-Tag im Jahr 1965 kann sich Eleonore Fleth noch genau erinnern: Die damals 15-Jährige war mit ihrer Mutter und den beiden jüngeren Schwestern beim Frühstück. Plötzlich stand das Jugendamt vor der Tür und holte die drei Kinder ab. Warum, wusste sie nicht. Eleonore und ihre Schwestern landeten im Heim für schwer erziehbare Kinder in Ummeln bei Bielefeld - eingesperrt in Einzelzellen: "Es war ein ganz langer Flur und es waren so ganz schmale Türen - alle so nebeneinander. Und ich musste in die erste Tür, die wurde sofort hinter mir geschlossen. Und dann stand ich im Zimmer - meine Schwester ist also noch weiter gebracht worden - und da habe ich erst mit Erschrecken festgestellt, wo ich eigentlich bin, dass ich gar nicht wieder 'raus konnte, weil die Tür gar keine Klinke hatte. Da habe ich nur noch geschrieen. Ich kann das gar nicht beschreiben." Erinnern kann sie sich nur in Ausschnitten, da sie starke Beruhigungsmittel bekam. Nach einigen Monaten zeigte man ihr ein Schreiben, in dem stand, warum sie da war. Ein Nachbar hatte ihre Familie beim Jugendamt gemeldet - Eleonores Eltern lebten getrennt. Das Jugendamt fürchtete, dass die Kinder verwahrlosen könnten: "Das ist für mich das Schlimmste, dass da jemand vor mir sitzt, mir das vorlegt und sagt: 'Unterschreiben Sie das!' (...) Ich als Minderjährige hatte keine Chance, irgendetwas zu verändern, etwas dagegen zu unternehmen. Ich war eingesperrt, ich hatte kein Telefon, ich konnte nicht schreiben, beziehungsweise war Schreiben sowieso nur zu den Eltern erlaubt. Somit war ich hilflos." Arbeiten, beten, schlafenWas in den nächsten Jahren folgte, war für sie der reinste Horror: Arbeit in der Großküche, beten, schlafen. Ihre unbeschwerte Jugend war vorbei. 40 Jahre später bekam sie ihre Akte, in der die Heimschwestern alles über sie fein säuberlich notierten. Ganz lesen kann sie sie bis heute nicht - das berührt sie zu sehr. Aber sie fand darin eine Postkarte ihres Vaters: "Das hat mich sehr berührt, weil ich nicht viele Andenken von meinem Vater habe. Aber ich bedaure, dass ich das damals nicht gekriegt habe. Das ist ja immer auch ein Zeichen, dass einen die Eltern nicht vergessen haben. (...) Mein Vater hat geschrieben, ich soll mich mal melden. Ich weiß nicht mehr, ob ich nicht schreiben durfte, oder ob ich geschrieben habe und meine Post nicht 'rausgegangen ist. Das kann ich heute nicht mehr nachvollziehen". Erziehung und ZüchtigungIn den meisten Heimen wurde die Post kontrolliert. Auch bei Wolfgang Rosenkötter. Das Heim Freistatt in Niedersachsen war 1962 schon seine dritte Station. Er war immer fortgelaufen - zu seinem Vater nach Hause. Aber das Jugendamt empfahl die freiwillige Erziehungshilfe. In Freistatt bedeutete das Torfstechen im Moor, sieben Tage die Woche. Erziehung und Züchtigung waren an der Tagesordnung: "Ich habe vom ersten bis zum letzten Tag nur Angst gehabt und nie irgendwie ein Gefühl, dass man mal aufatmen konnte und sagen konnte: 'So, jetzt kannst du dich mal ein bisschen zurücknehmen' oder sagen konnte, 'jetzt fühlst du dich wohl' und so etwas. Das gab es überhaupt nicht. Man war eingeschlossen in dem Haus. Das Haus war ja ein festes, geschlossenes Haus mit Gittern vor den Fenstern. Man kam ja nicht raus." Den Stärksten verprügelnAngst zu vermitteln und Macht auszuüben war ein wichtiger Bestandteil der Erziehung. Dieter Grünenbaum war damals in Freistatt Diakon-Schüler, gerade 24. Er wurde von einem älteren Erzieher angewiesen, wie er die Jugendlichen behandeln sollte: "Ich werde nie vergessen, dass er mir nach einer Woche sagte: 'Wenn Sie hier Autorität erreichen wollen, dann müssen Sie genau hingucken, welcher Jugendliche am stärksten ist, wer von den anderen am meisten geachtet wird und den müssen Sie sich bei nächster Gelegenheit schnappen und verprügeln. Dann haben Sie hier Autorität'." Ein Erlebnis wird Grünenbaum nie vergessen. Er hatte mitbekommen, dass zwei Jungen weglaufen wollten und meldete das pflichtbewusst. Die Strafe des Heimvaters folgte sofort und Dieter Grünenbaum musste sie mit ansehen: "Er hatte einen Krückstock und diesen dem Jugendlichen so um den Hals gehalten, dass der mit dem Kopf nicht wegkam und dann hat er ihm immer rechts und links ins Gesicht geschlagen, bis der gesagt hat: 'Ja, wir wollten abhauen!' Ich weiß, dass ich mir damals geschworen habe, nie wieder einen Jugendlichen zu verraten. Es war so schrecklich für mich, das mit ansehen zu müssen." Immer mehr wurde dem Diakonschüler klar, dass das alles nichts mit Pädagogik hatte. Aber erst später lehnte er sich dagegen auf. "Kein Mensch hat mir geglaubt"Wolfgang Rosenkötter hatte es geschafft aus Freistatt zu fliehen, trotz sperriger Holzschuhe, die er tragen musste: "Ich bin auch weggekommen, was ganz selten war dort. Ich habe mich durchgeschlagen, durch das Moor nach Minden und von Minden nach Bielefeld und habe dort geschildert, was in diesem Heim abging. Es hat mir kein Mensch geglaubt. Die haben gesagt, das kann gar nicht sein, das ist ein christliches, evangelisches Heim, da passiert so was nicht, da musst du durch." Drei Tage Arrest in einer dunklen Zelle, bei Brot und Wasser, das war die Strafe. Eine Strafe, über die Wolfgang Rosenkötter noch heute entsetzt ist. Auch Eleonore Fleth glaubt, dass ihr Leben anders verlaufen wäre, wenn man sie nicht ins Heim gesteckt hätte: "Deren Interesse hat darin gelegen, uns zu manipulieren. Uns als Arbeitstiere zu manipulieren, auch für die Zukunft. Arbeiten und Beten heißt das Leben. Also nicht, um aus uns eigenständige Menschen zu machen, die im Leben bestehen, sondern ganz anders. Deren erklärtes Ziel war ein anderes. Davon bin ich heute eigentlich mehr als überzeugt." Rosenkötter meint, er habe "gelernt, die Zähne zusammenzubeißen und sich anzueignen, bei bestimmten Dingen nicht zu reagieren. Das heißt also, wenn man bestimmte Strafen bekam, die hinzunehmen und einfach zu sagen: 'OK, du kannst nichts ändern, du musst durchhalten'. Das ist das einzige, was man gelernt hat, sonst gab es nichts zu Lernen." Stand: 21.09.2007 07:38 Uhr |
Metatags zum Thema "Ehemalige Heimkinder" im "Wirtschaftswunderland Westdeutschland": |
Siehe auch "Ehemalige Heimkinder" @ heimkinderopfer.blogspot.com und heimkinderopfer2.blogspot.com |
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