Ein
weiterer Beweis für das was den Mächtigen weiterhin in
Deutschland wichtig war sofort nach dem zweiten Weltkrieg, und
ihnen auch weitergehend wichtig war in der Bundesrepublik
Deutschland, nach 1949, besonders in der Fürsorgeerziehung.
Ein
Beispiel für die Kontinuität in der Sozialfürsorge:
Helene Wessel
Seit
den 20ern bis weit in die 60er Jahre hinein war Helene Wessel (1898 -
1967) eine der führenden Theoretikerinnen der
Sozialpolitik.
Seit 1928 war sie Abgeordnete für die
Deutsche Zentrumspartei im preußischen Landtag und setzte sich
vehement für das “Reichsbewahrungsgesetz” ein. Sie
hantierte mit fürsorgerischen, sozialhygenischen und
erbbiologischen Argumenten für die Kürzung der
Fürsorgeausgaben im Interesse der “gesunden deutschen
Familie”.
Nach Auflösung des Preußischen
Landtags im November 1933 arbeitete sie in der “Gefährdetenfürsorge”
und in der Zentrale des Katholischen Fürsorgevereins für
Mädchen, Frauen und Kinder in Dortmund.
Während der
Zeit des Nationalsozialismus betrieb Helene Wessel emperische
“Familienforschung” und publizierte ihre
“Forschungsergebnisse” und Ansichten.
“[…]
diese gesetzliche Wohlfahrtspflege von verantwortungslosen,
minderwertigen Menschen ausgenutzt wird. Auf der anderen Seite haben
wir aus einem falschen Humanitätsbegriff die Kosten für die
volksuntüchtigen (im wirtschaftlichen Sinne unproduktiven)
Menschen so gesteigert, daß sie in keimem Verhältnis zu
der Lebenshaltung der gesunden arbeitstüchtigen Familien
stehen.” Helene Wessel (1931, S. 6f)
1934
veröffentlichte Helene Wessel ihre zweite größere
Arbeit mit dem Titel “Bewahrung, nicht Verwahrlosung”, Im
Vorwort schreibt sie bezugnehmend auf das “Gesetz zur Verhütung
erbkranken Nachwuchses” vom 14.07.1933:
“Ob
neben der Sterilisation nicht weitere Maßnahmen ergriffen
werden müssen, um jene biologisch minderwertigen Menschen von
der Fortpflanzung auszuschließen, die entweder nicht unter den
Personenkreis des ‘Gesetzes zur Verhütung erbkranken
Nachwuches’ fallen oder bei denen trotz Sterilisation nicht
verhütet wird, daß sie ihr asoziales Leben ungehemmt
weiterführen.” Helene Wessel (1934, S.?)
“Durch
die Sterilisierung wird lediglich die Fortpflanzung Minderwertiger
verhindert; nicht verhindert wird aber, daß die sterilisierten
Menschen durch ein asoziales Leben die Volksgemeinschaft weiterhin
gefährden. Ja es besteht sogar die Gefahr, daß sie
hemmungslos ihren Trieben nachgehen, weil sie die Geburt eines Kindes
und damit die Kosten oder schlechten Ruf nicht zu fürchten
brauchen. Ein Bewahrungsgesetzt will mehr erreichen als nur die
Ausschließung der Bewahrungsbedürftigen von der
Fortpflanzung: Es soll die Allgemeinheit gleichzeitig vor den Schäden
der Verwahrlosung und vor der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten
beschützt und dadurch eine ständige sittliche und
gesundheitliche Gefahrenquelle für das Volk beseitigt
werden.” Helene Wessel (1934, S. 17)
Seit
1946 war sie Mitglied des ernannten und 1947 gewählten Landtags
von Nordrhein-Westfalen.
Von 1946 bis 1949 war sie
Geschäftsführerin der Tageszeitung “Neuer
Westfälischer Kurier” und schrieb in dieser Zeitung
regelmäßig über Fragen der Familien- und
Bevölkerungspolitik.
Von 1948 bis 1949 war sie im
Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes
beteiligt.
Von Oktober 1949 bis 1953 war Helene Wessel
Mitglied des Bundestages, seit 1952 war sie parteilose
Abgeordnete.
Anfang der 50er Jahre erhielt sie vom
nordrheinwestfälischen Kulturministerium 8.000 DM
Forschungsbeihilfe, um ihre Familienforschung der 30er / 40er Jahre
beenden zu können.
Von 1957 bis zu ihrem Tod 1967 war sie
Abgeordnete der SPD im Bundestag und wirkte an der Ausarbeitung des
Bundessozialhilfegesetzes von 1961 mit.
Der Gedanke des
Bewahrungsgesetzes fand Eingang in das Bundessozialhilfegesetz –
die zwangsweise Unterbringung von “Gefährdeten”.
Erst 1974 wurde dieser Teil vom Bundesverfassungsgericht als Verstoß
gegen das Grundrecht der persönlichen Freiheit aufgehoben.
1965
wurde Helene Wessel mit dem Bundesverdienstkreuz
ausgezeichnet.
Helene Wessel als Partei- und Fraktionsmitglied
der Deutschen Zentrumspartei im Plenarsaal des Deutschen Bundestages
am 18.09.1951:
“Auf
allen Arbeitsgebieten der Fürsorge findet man Gefährdete
und Verwahrloste, die geistig oder seelisch anormal sind und deshalb
für ihr Handeln nicht voll verantwortlich gemacht werden können.
Es sind jene Menschen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen, die
unfähig sind, sich in die Gesellschaft einzuordnen, die trotz
ihrer Großjährigkeit bezeichnenderweise die großen
Kinder genannt werden. […] Gewiß, meine Damen und
Herren, bringt ein Bewahrungsgesetz Eingriffe in die persönliche
Freiheit des Bewahrungsbedürftigen, aber es handelt sich doch
hier um Menschen, die ihre Freiheit zum eigenen Schaden und zum
Schaden des Gemeinwohls mißbrauchen oder sie nicht richtig
gebrauchen können.”
In Anlehnung an die
Entwürfe zum “Reichsbewahrungsgesetz” der 20er Jahre
solle der Bundestag ein “Bewahrungsgesetz” verabschieden.
Die entscheidenden Paragraphen im folgenden:
§1: Die Bewahrung ist eine
Maßnahme der öffentlich-rechtlichen Fürsorge. Ihr
Zweck ist der Schutz des zu Bewahrenden vor Verwahrlosung und seine
Gewöhnung an sinnvolle Arbeit und ein geordnetes Leben.
§2: Eine Person über 18
Jahren kann durch Beschluß des Vormundschaftsgerichtes der
Bewahrung überwiesen werden, wenn
sie
aufgrund einer krankhaften oder außergewöhnlichen
Willens- oder Verstandsschwäche oder einer Stumpfheit des
sittlichen Empfindens verwahrlost ist oder zu verwahrlosen droht und
andere
Möglichkeiten zur Beseitigung der Verwahrlosung oder drohenden
Verwahrlosung nicht gegeben sind oder bisher vergeblich
angewandt wurden.
‘CDU und SPD halten ebenfalls
ein Bewahrungsgesetz für notwendig, obwohl sie an dem Vorschlag
und der Verfahrensweise der Zentrumspartei Kritik vorbringen. Nur die
Abgeordnete der KPD, Thiele, äußert prinzipielle Einwände
und erntet dafür nichts als spöttische Zwischenrufe. Sie
warnt vor der Verabschiedung eines Bewahrungsgesetzes, das bereits
wieder Schutzhaftmethoden legalisieren würde und setzt seine
Gefahren sogar mit denen eines “Euthanasiegesetzes”
gleich.’ (Ebbinghaus, S. 192)
[ Enthoben aus dem Internet @
http://www.maedchen-kz-uckermark.de/ausstellungskatalog04_05.pdf
(S. 13-14) ]
[ Auch zu erwähnen
hier sei die hervoragende Studie von MATTHIAS WILLING: Das
Bewahrungsgesetz (1918-1967) – Beiträge zur
Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts ( Eine
rechtshistorische Studie zur Geschichte der deutschen Fürsorge
), erstmals erschienen im Mohr
Siebeck Verlag, Tübingen, 2003; herausgegeben von
Knut Wolfgang Nörr, Joachim Rückert, Bernd Rüthers und
Michael Stolleis. ISBN 3-16-148204-2. ]
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